Erhöhte Leberwerte, eine akute Entzündungsreaktion und ein Blutbild, das auf einen Herzinfarkt schliessen lässt. Wettkämpfe, die über den Marathon oder die Triathlon-Langdistanz hinausgehen, sorgen für ein gehöriges Durcheinander. Dass diese sogenannten Ultraläufe- und -triathlons den Bewegungsapparat beanspruchen, ist naheliegend. «Aber damit ist längst nicht Schluss», so Beat Knechtle. Er spricht aus eigener Erfahrung als Ultraathlet, Mediziner und Wissenschaftler der Universität Zürich. 2018 veröffentlichte er einen Überblick über die Forschungserkenntnisse zum Ultramarathonlaufen in der Fachzeitschrift Frontiers in Physiology .
Unter Dauerbelastung findet im Körper eine Umverteilung statt: Die knappen Energiereserven versorgen primär die Muskulatur. Für den Wettkampf ist das sinnvoll. Nur müssen im Gegenzug andere Organsysteme, wie etwa der Verdauungstrakt, kürzertreten. So erklärt die mangelnde Durchblutung der Darmschleimhäute den häufig auftretenden Durchfall. Dieser ist nur einer der vielen Verdauungsprobleme, über welche laut Knechtle rund vier von fünf Ultraläuferinnen und -läufer klagen. Allen voran die Übelkeit, einer der häufigsten Gründe, ein Rennen abzubrechen.
Auf Herz und Nieren geprüft
Die Liste veränderter Laborwerte ist lang. Einen Hinweis auf direkte Organschäden liefern etwa erhöhte Leberwerte – oder der Anstieg des C-reaktiven Proteins (CRP), ein Indiz für Entzündungen, Infektionen und Gewebeschäden. So berichtet Knechtle über einen 90-km-Ultralauf, bei dem CRP-Werte beobachtet wurden, wie man sie vom Herzinfarkt kennt.
«Schäden machen bei der Muskulatur nicht halt», stellt Knechtle klar. Bei Muskelschäden strömen Proteine, darunter Myoglobine, aus dem Muskel in den Blutkreislauf. Kommt noch Hitze oder eine Dehydration dazu, reichern sich diese Proteine in der Niere an. Die Folge: eine Nierenschädigung. Sie treffe fast die Hälfte der Ultraläuferinnen und -läufer. «Solche Schäden sind aber in aller Regel reversibel: Die Organe erholen sich innert zwei bis drei Tagen», schätzt Knechtle ein. Fälle schwerwiegender Organschäden wie einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz oder eines Leberversagens seien zwar bekannt, aber eine Seltenheit.
Der Wettkampf geht zu Ende – seine Auswirkungen nicht
Das Immunsystem läuft noch bis zu zwei Wochen nach Rennen auf Sparflamme. Laut Knechtles Übersicht erleiden nach einem Ultramarathon 25 bis 30 Prozent einen Infekt der oberen Atemwege. Die Erklärung dafür liefert das «Open-Window-Phänomen»: Während der Belastungsphase steigen Hormone, die das Immunsystem regulieren, an. Geht der Körper in Erholung, können diese schnell wieder abfallen und sogar unter das Ausgangsniveau sinken. Die Wahrscheinlichkeit für eine Erkältung oder einen anderen Infekt steigt.
«Ein Ultralauf ist sicher nicht gesund», gesteht Knechtle ein. Regelmässiges Ausdauertraining schon. Als Hausarzt ist Knechtle täglich mit der Lebensweise der anderen Extreme, jener ohne sportliche Aktivität, konfrontiert: «Viele haben bereits mit 50 Gesundheitsprobleme. Allein das Erreichen des 70. Lebensjahr ist da ein Meilenstein.» In diesem Alter würden Knechtles Kollegen noch Wettkämpfe bestreiten. Generalisieren möchte er dennoch nicht. Schliesslich mache Sport die genetische Veranlagung für Krankheiten auch nicht wett.