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Ungewollt kinderlos Vom unerfüllten Kinderwunsch zum erfüllten Leben ohne Kinder

Katrin und Fabian wünschen sich Kinder – ihr Weg ist geprägt von Verlust, Hoffnung und Neuanfang. Heute leben sie kinderlos – und erfüllt. Ein Porträt über Mut, Schmerz und neue Perspektiven.

Katrin und Fabian haben viel durchgemacht. Mit 37 Jahren probiert Katrin, auf natürlichem Weg schwanger zu werden. Beim ersten Versuch klappt es schnell – doch die Schwangerschaft hält nicht. Ein Jahr später wird sie nochmals schwanger, doch auch diese Schwangerschaft endet nach wenigen Wochen.

Der Weg durch Hoffnung und Verlust

Nach der zweiten Fehlgeburt empfiehlt Katrins Gynäkologin, eine Kinderwunschklinik aufzusuchen. Dort ergibt eine Untersuchung, dass Katrins Prolaktinspiegel zu hoch ist. Dies verhindert, dass sich die Eizellen in der Gebärmutter einnisten können.

Mithilfe von Medikamenten lässt sich der Spiegel rasch senken. Anschliessend folgen eine hormonelle Stimulation zur Auslösung des Eisprungs sowie zeitlich abgestimmter Geschlechtsverkehr. Doch auch auf diesem Weg bleibt der erhoffte Erfolg aus.

Die Odyssee geht weiter

Der nächste Schritt ist die Insemination. Dabei wird Fabians Sperma im Labor aufbereitet und zum Zeitpunkt des Eisprungs direkt in Kathrins Gebärmutter eingebracht. Die Befruchtung erfolgt auf diesem Weg weiterhin auf natürlichem Weg.

Doch auch die Inseminationen funktionieren nicht: Katrin wird nicht schwanger. Nun empfehlen die Expertinnen eine künstliche Befruchtung – eine sogenannte IVF (In-vitro-Fertilisation).

IVF und ICSI kurz erklärt

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Illustration von Spermien unter einem Mikroskop.
Legende: SRF

IVF steht für In-vitro-Fertilisation, also Befruchtung in der Petrischale. ICSI für intrazytoplasmatische Spermieninjektion, also die Gabe von Spermien direkt in die entnommene Eizelle. 

Für die IVF-Behandlung muss Katrin sich jeden Abend eine Hormonspritze setzen. Das übernimmt Fabian für sie, denn ihr wird flau beim Anblick der Nadeln.

Alle paar Tage muss sie in die Kinderwunschklinik, um zu kontrollieren, ob die Eibläschen wachsen, wie viele es sind und wie gross sie sind. Die Eibläschen werden ihr entnommen und in vitro befruchtet; eine befruchtete Eizelle wird ihr wieder eingesetzt. Jetzt ist Warten angesagt, eine psychische Achterbahn. Zwei Wochen später setzt ihre Periode ein.

Katrin und Fabian wollen sich eine kurze Verschnaufpause gönnen und danach nochmals einen Versuch mit IVF starten. Doch die COVID-Pandemie kommt dazwischen. Aus der geplanten kurzen Pause entsteht eine mehrmonatige Zwangspause, denn künstliche Befruchtungen werden in dieser Zeit keine durchgeführt.

Schwanger werden um jeden Preis?

Katrin spürt, dass ihr die Zwangspause entgegenkommt. Ihr fällt eine Last von den Schultern: Endlich muss sie nichts entscheiden und kein schlechtes Gewissen haben, «Zeit zu verlieren».

In dieser Zeit wird ihr bewusst, dass sie sich nicht auf eine weitere IVF-Behandlung einlassen will. Die psychischen und physischen Strapazen sind zu hoch. Wenn sie nochmals schwanger wird, dann auf natürliche Art – so wie die letzten zwei Schwangerschaften –, ist sie überzeugt.

Sieben Fakten zum Kinderwunsch

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  1. Rund zwei Prozent aller Kinder in der Schweiz entstehen durch künstliche Befruchtung (In-vitro-Fertilisation). 
  2. Eine künstliche Befruchtung muss ein Paar selbst bezahlen – die Kosten liegen mindestens bei einigen Tausend Franken, können bis zum Erfolg aber auch bis zu 20'000 Franken betragen.  
  3. Unfruchtbarkeit bedeutet nicht endgültige Kinderlosigkeit: Laut WHO liegt sie vor, wenn nach einem Jahr regelmässigen, ungeschützten Geschlechtsverkehrs keine Schwangerschaft eintritt. 
  4. Häufige Ursachen sind beim Mann eine schlechte Spermienqualität und bei der Frau eine Endometriose, Funktionsstörungen der Eileiter oder Myome. 
  5. Die Erfolgschancen der künstlichen Befruchtung hängen stark vom Alter ab – im Durchschnitt liegen sie bei rund 50 Prozent. Bei jüngeren Frauen sind die Chancen höher, bei Frauen im Alter von ca. 40 Jahren niedriger. 
  6. In der Schweiz übernimmt die Grundversicherung der Krankenkasse bis zum Alter von ca. 40 Jahren eine Hormonstimulation über rund ein Jahr und drei Inseminationen.  
  7. Leihmutterschaft und Eizellenspende sind in der Schweiz bisher gesetzlich verboten. Diese Behandlungen müssen im Ausland durchgeführt werden.  

Auszug aus einem Gespräch mit Michael von Wolff, Chefarzt der gynäkologischen Endokrinologie und Reproduktionsmedizin der Frauenklinik des Inselspitals Bern.

Katrin und Fabian beschliessen gemeinsam, die IVF-Behandlungen bleiben zu lassen. Sie wagen einen ersten Schritt in Richtung Plan B – ein Leben zu zweit, ohne Kinder. Katrin wird ein drittes Mal schwanger, unverhofft. Doch sieben Wochen später beginnen die Blutungen: Schon wieder endet die Schwangerschaft viel zu früh.

Katrin erstellt Vision Boards mit neuen Plänen und Reisedestinationen: Sie wünscht sich eine längere Reise, um sich komplett vom Kinderwunsch zu lösen. Fabian träumt mit, trägt aber den unerschütterlichen Glauben in sich, dass alles zu seiner Zeit kommt.

Einige Wochen später bietet sich eine einmalige Gelegenheit: Fabian, der als Journalist arbeitet, erhält ein Angebot als Korrespondent in Washington. Ideal für einen Neuanfang – und ein neues Abenteuer.

Der Neustart

In den Vereinigten Staaten konzentrieren sich beide auf ihr neues Leben. Doch insbesondere bei Katrin wirken die Erfahrungen der vergangenen Jahre nach.

Katrin findet in dieser Zeit keine passenden Unterstützungsangebote für Menschen, die ungewollt kinderlos bleiben. Auch psychologische Hilfe hätte sie selbst organisieren müssen – doch dafür fehlt ihr in dieser Phase die Kraft.

Zwei Fragen an eine Psychotherapeutin

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Person sitzt in modernem Büro mit Pflanzen im Hintergrund.
Legende: SRF

SRF: Warum ist eine psychologische Begleitung für Paare im Reproduktionsprozess so wichtig? 

Verena Ehrbar: Eine Kinderwunschbehandlung kann eine grosse Achterbahnfahrt der Gefühle auslösen. Es können unerwartete, überfordernde Situationen auftreten. Insgesamt ist die Behandlung eher als Marathon und nicht als Sprint anzusehen. Eine psychologische Begleitung soll in diesem gesamten Prozess entlastend und hilfreich sein.  

Wie können Betroffene am besten vorgehen, um die passende Unterstützung zu finden? 

Wenn man bereits in einem Zentrum in Behandlung ist, wenden sich Betroffene am besten an die behandelnden Ärzte und Ärztinnen oder sie informieren sich selbstständig auf der Homepage der Schweizerischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin.

Selbsthilfe durch Austausch

Katrin fühlt sich häufig alleingelassen und findet keine geeigneten Anlaufstellen. Immer wieder stösst sie auf die Erfolgsgeschichten: die, die auch nach vielen IVF-Zyklen mit einem Baby enden. Sie beschliesst, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Gemeinsam mit ihrer Freundin Rahel, die sich bewusst gegen Kinder entschieden hat, produziert sie heute den Podcast «Expectations». Dieser richtet sich an Menschen, die geplant oder ungeplant kinderfrei sind.

Der Podcast wird für Katrin zu einem Weg, das Erlebte zu verarbeiten und mit anderen Betroffenen in Kontakt zu treten, sich auszutauschen. Sie fühlt sich endlich verstanden und weniger allein mit ihren Erfahrungen.

Beratungsstellen und Tipps für Betroffene

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  • appella: Telefon- und Online-Beratung. Umfassende und unabhängige Informationen und Beratung. 
  • Psy-Gesundheit.ch: Wenn das Wunschkind nicht kommt. 
  • Verein Kinderwunsch: Ausführliche Informationen von Betroffenen für Betroffene zum Thema ungewollte Kinderlosigkeit. 
  • Fertiforum: Spezialisierte Begleitungen bei Fragen zur medizinisch unterstützten Fortpflanzungsmedizin. 
  • Schweizerische Gesellschaft für Reproduktionsmedizin SGRM: Informationen rund um Themen wie IVF-Therapien, psychologische Beratungen, Fertilitätserhalt oder Samenspende. 
  • Kinderwunsch Peer Support: Angebot von Betroffenen für Betroffene für einen Austausch auf Augenhöhe. 
  • Übersicht zu Fachpersonen, die auf psychologische Unterstützung im Bereich Fortpflanzungsmedizin spezialisiert sind.  

Darüber hinaus gründet sie eine Organisation – Kinderwunsch Peer-Support –, bei der sich Menschen mit einem unerfüllten Kinderwunsch melden können. Dort können sie sich mit einer sogenannten Peer-Person – einer Person, die Ähnliches erlebt hat – austauschen.

Das neue Bild vom Leben zu zweit

Die gemeinsamen Erfahrungen haben Katrins und Fabians Beziehung gestärkt. Einfach war es nicht immer. Geholfen hat, dass sie regelmässig über den Kinderwunsch und den Prozess redeten. Und Humor, der ist den beiden besonders wichtig.

In den vier Jahren, die sie in Washington, D.C., gelebt haben, ist viel passiert: vom Frust über den unerfüllten Kinderwunsch bis zur Einsicht, dass das Leben gut ist, wie es ist. Denn: Katrin und Fabian haben eine wunderbare Beziehung und wissen dies zu schätzen.

Heute geniessen Katrin und Fabian ihr Leben zu zweit und freuen sich auf die Abenteuer, die noch vor ihnen liegen. Nach fast drei Monaten mit dem Dachzelt durch die USA sind sie wieder in der Schweiz gelandet. Das Abenteuer USA ist zu Ende. Nun sind sie gespannt darauf, was das neue Kapitel Schweiz mit sich bringt.

SRF 1, Puls, 17.11.2025, 21:05 Uhr;brus

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