Familientreffen bedeuten auch, mit der impfskeptischen Schwester zu diskutieren. Oder dem Onkel, der am Klimawandel zweifelt. Was hilft für solche Gespräche?
Dem Gegenüber das Gefühl zu vermitteln, verstanden zu werden. Das ist die Haupterkenntnis einer Studie der Universität Bern. Diese Wichtigkeit von «sich verstanden fühlen» ist bereits aus verschiedenen Studien bekannt.
Studie mit Chatbot
Das Neue an der Studie: Die Teilnehmenden führten ein KI-Gespräch, das entweder neutral, rein freundlich, sachlich-korrigierend oder verständnisvoll war.
Lieber Fragen stellen als Argumente liefern. Sich fragen: ‹Wie kommt jemand zu dieser Haltung?› Diese Neugier ist wichtig, damit sich das Gegenüber verstanden fühlt.
Bei verständnisvoll wurde die eigene Sichtweise bestätigt, ihr aber nicht zugestimmt. Anschliessend erhielten alle Informationen und dann Handlungsaufforderungen, die ihren impf- oder klimaskeptischen Einstellungen widersprachen.
Sich verstanden fühlen hilft
Bei rein freundlichen oder verständnisvollen Gesprächen zeigten die Fakten sofort Wirkung. Doch nur bei verständnisvollen Gesprächen war dieser Effekt nach 60 Tagen noch da, beim freundlichen Smalltalk verpuffte er.
Überraschend zeigten auch jene Personen, bei denen die KI direkt mit Fakten sachlich-korrigierend vorging, erst nach zwei Monaten eine deutlich erhöhte Offenheit.
Mittel in der Psychotherapie
Anwendung findet diese Erkenntnis bereits seit längerem in der Psychotherapie. Denn: Mit diesem Gefühl des Verstanden Werdens ist es einfacher, die Perspektive zu wechseln und die des Gegenübers einzunehmen. Das ist in der Paarberatung sehr wichtig. Aber auch in der Psychotherapie, wenn es darum geht, Annahmen über sich selbst oder die Welt zu hinterfragen.
Erich Seifritz, Professor und Direktor der Erwachsenenpsychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, sagt zur Studie: «Es ist plausibel, dass dieser Mechanismus auch bei Personen wirkt, die Zeichen von Verschwörungstheorieglauben aufweisen. Daher erstaunen die Resultate dieser Forschung nicht, sie sind aber dennoch interessant.»
Fühlen wir uns also verstanden, dann fällt es uns leichter, uns auf andere Haltungen einzulassen. Und unsere eigenen Haltungen zu hinterfragen.
Was hilft nun fürs nächste Familienfest
Raphael Huber, der Autor der Chatbot-Studie, rät: «Lieber Fragen stellen als Argumente liefern. Sich fragen: ‹Wie kommt jemand zu dieser Haltung?› Diese Neugier ist wichtig, damit sich das Gegenüber verstanden fühlt.»
Das Gespräch nicht aufzugeben ist auch wichtig für die, die zuhören. Eine Studie zu Fake News in sozialen Medien zeigt, dass das Widersprechen mit Quellenangabe zu einem Faktencheck wirksam ist. Das bedeutet, die Antwort ist für die Person, die etwas sagt. Aber eben auch für die anderen im Raum, die zuhören und vielleicht innerlich zustimmen.
Einen dritten Tipp nennt Ingrid Brodnig in «Einspruch! Verschwörungsmythen und Fake News kontern – in der Familie, im Freundeskreis oder online». Es hilft, nicht nur Falsches zu korrigieren, sondern den richtigen Informationen Raum zu geben. Also zum Beispiel einen guten Podcast zu nennen, den sie später auf der Heimreise anhören könnten. Brodnig schreibt, dass es kein Wundermittel gegen Verschwörungsmythen gibt. Wichtig sei, die Stimmen zu fördern, die bereit sind, die Komplexität der Welt anzuerkennen.