Zum Inhalt springen

Ernährung der Zukunft Warum Lebensmittel aus dem Labor noch nicht im Supermarkt stehen

Fleisch, Fisch und sogar Schoggi: Forschende sehen eine Ernährungsrevolution in Lebensmitteln, die im Labor gezüchtet wurden. Auch in der Schweiz wird längst daran geforscht. Trotzdem sind in unseren Supermärkten und Restaurants noch keine solchen Produkte zu finden. Warum ist das so?

Tilo Hühn ist auf einem Bauernhof aufgewachsen und war später auch als Landwirt tätig. Heute hat er die grüne Natur mehrheitlich gegen graue Labors eingetauscht. Als Professor für Lebensmitteltechnologie forscht er an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) an der Ernährung der Zukunft.

Unter anderem war er Ideengeber für zwei pflanzliche Pendants von Laborfleisch: Avocados und Kakao-Bohnen aus dem Bioreaktor.

Die Regionen, in denen Avocados und Kakaobohnen geerntet werden, stehen unter Klimaveränderungen.
Autor: Thilo Hühn Professor für Lebensmitteltechnologie, ZHAW

Es ist kein Zufall, dass er sich dazu entschieden hat, genau diese Pflanzen im Labor nachzubauen. «Die Regionen, in denen Avocados und Kakaobohnen geerntet werden, stehen unter Klimaveränderungen. Intensivere Klimaereignisse und dadurch entstehende Pflanzenkrankheiten stellen die Produktion unter Druck», erklärt Hühn seine Wahl. Aus diesem Grund werde Kakao teurer. Und: Der Anbau von Avocados benötige viel Wasser. «Das führt dazu, dass die Menschen in gewissen Anbaugebieten fast kein Trinkwasser mehr haben und auch sonst ihre Kultur nicht mehr bewässern können.»

Hier will Tilo Hühn ansetzen. Sein Ziel: Die Herstellung von Guacamole und Schokolade vom Avocado- und Kakao-Anbau entkoppeln, indem er Zellen dieser Pflanzen mithilfe von in der Schweiz angebauten Rohstoffen vermehrt.

Avocado und Kakao aus dem Bioreaktor

Hühn arbeitet bei der Umsetzung seiner Idee eng mit Forscherin Regine Eibl zusammen. Sie ist Professorin für Zellkulturtechnik, ebenfalls an der ZHAW Wädenswil. «Die Vorgehensweise ist immer die gleiche, ganz egal, von welcher Frucht oder Beere ich ausgehe. Zuerst nehme ich den Teil der Pflanze, den ich vermehren will und sterilisiere ihn, um Bakterien und Pilze abzutöten.» Danach teilt das Team um Regine Eibl die Frucht – eben beispielsweise eine Avocado oder eine Kakaobohne – in Stücke, und legt diese dann auf ein sogenanntes Kulturmedium. Dieses enthält Zucker, Stickstoff, Vitamine und Pflanzenhormone und füttert damit die Zellen.

Laborfleisch: Zellen stammen vom lebenden Tier

Box aufklappen Box zuklappen

Will man ein Steak im Labor herstellen, läuft das ähnlich ab wie bei der Avocado und beim Kakao. Die zu vermehrenden Muskelzellen werden allerdings dem Lebenden Organismus entnommen – also durch eine Biopsie bei Tieren.

Leon Moonen ist Bio-Bauer in den Niederlanden, führt seinen Hof in vierter Generation. «Mich hat sofort fasziniert, wie es möglich ist, Fleisch zu produzieren, ohne die Tiere zu töten», so Moonen. Bereits jetzt liefert er der Firma Mosa Meat Zellen seiner Rinder für die Entwicklung von In-Vitro-Fleisch. «Ich finde es auch sehr natürlich, was wir hier machen. Wir lassen die Tiere in ihrer natürlichen Umgebung. Wir lassen sie grasen und sie können das tun, wozu sie geboren wurden», erläutert Moonen seine Motivation.

In Zukunft will Leon Moonen aus seinem traditionellen Bauernhof einen zellulären Bauernhof machen. Er will also nicht nur Zellen oder Rohmaterialien für die Produktion von Laborfleisch liefern – er will es selbst auf seinem Hof herstellen.

Mit der Zeit bildet sich Wundgewebe an den Schnittstellen. Sobald davon genügend vorhanden ist, wird dieses Wundgewebe in eine Flüssigkeit überführt. Diese sogenannte Suspensionskultur – eine Flüssigkeit, in der sich die freischwebenden Zellen befinden – wird dann im Bioreaktor belüftet, geschüttelt und auf einer idealen Temperatur gehalten, sodass sich die Zellen unter optimalen Bedingungen vermehren können.

Haben sich die Zellen ausreichend oft vervielfältigt, wird geerntet. Aber nicht etwa eine komplette Kakaobohne oder Avocado-Frucht. Es ist vielmehr ein Slurry, ein Haufen Zellen, oder wie Eibl es nennt: eine Biomasse. «Im Fall der Avocado kann man diese Biomasse mit Gewürzen versetzen und die Guacamole ist fertig», so Eibl. Bei der Schokolade werden die Zellen nach der Ernte gefriergetrocknet, geröstet und zu einer Schokolade weiterverarbeitet.

Das Interessante dabei: das Wundgewebe muss nicht jedes Mal neu angelegt werden. Es wächst nach, kann gelagert und im Bioreaktor immer wieder aufs Neue vermehrt werden. Man braucht also nicht ständig neue Avocados und Kakaobohnen, um Guacamole und Schokolade herzustellen.

Noch kein markttaugliches Produkt

Regine Eibl und Tilo Hühn entwickeln an der ZHAW noch keine verkaufsfähigen Lebensmittel. Vielmehr beforschen sie die Züchtung von Avocado- und Kakaozellen und untersuchen beispielsweise, welche Auswirkungen der Bioreaktortyp auf den Geschmack der Laborschokolade hat.

Konsistenz ist wie Schoggi, der Geschmack auch. Was mir sehr auffällt: Es hat ganz fest einen ‹beerigen› Geschmack.
Autor: Tobias Müller Moderator der SRF-Sendung Einstein

Ehemalige Studierende von Regine Eibl wollen mit ihrem Startup «Foodbrewer» die Laborschokolade von der ZHAW auf den Markt bringen. Ihre Schokolade kann man bereits probieren. Tobias Müller, Moderator der SRF-Sendung Einstein, durfte sie testessen. Sein Fazit: «Konsistenz ist wie Schoggi, der Geschmack auch. Was mir sehr auffällt: Es hat ganz fest einen ‹beerigen› Geschmack». Klingt eigentlich ganz gut.  

Das Beispiel der «Laborschokolade» zeigt: Theoretisch gibt es sie schon, die geniessbaren, in Schweizer Labors gezüchteten Lebensmittel der Zukunft. Im Supermarkt und in Restaurants sind sie jedoch noch nicht erhältlich. Auf die Frage, was es noch braucht, bis wir im Labor gezüchtete Guacamole und Schokolade in der Schweiz kaufen können, antwortet Tilo Hühn: «Von der Technologie her würde ich sagen: nicht mehr viel. Es braucht aber natürlich finanzielle Ressourcen, um die Skalierungsphase dann auch abzuschliessen». Heisst konkret: Im Bioreaktor gezüchtete Schokolade und Avocado ist noch zu teuer.

Die Skalierungshürde: Der Burger für eine Viertelmillion Euro

Die Geschichte des ersten Burgers aus dem Bioreaktor veranschaulicht, wie zentral die Skalierung für den erfolgreichen Markteintritt ist. Im Jahr 2013 liess Mosa Meat vor laufender Kamera den ersten Burger aus kultiviertem Fleisch verkosten. Die Herstellung dieses Burgers kostete eine Viertelmillion Euro. «Der Burger war 2013 so teuer, weil wir damals in einem sehr kleinen Massstab produziert haben» begründet Mosa Meat auf der Firmenhomepage den damaligen Preis.

Heute bereitet sich Mosa Meat auf den Markteintritt vor. Ein Burgerpatty soll jetzt weniger als 10 Euro kosten. Doch dafür waren jahrelange Forschung und Investitionen in Millionenhöhe notwendig. Ori Bar-Nur forscht als ETH-Professor selbst mit dem sogenannten In-Vitro-Fleisch. «Wenn wir Muskelzellen im Labor züchten wollen, müssen wir sie füttern. Dazu müssen wir ein Nährmedium herstellen, das potenziell sehr teuer sein kann», so Ori Bar-Nur. Eine der zentralen Fragen sei also, wie man das Medium, welches die Vermehrung der Zellen unterstützt, kostengünstiger machen kann.

Hier sieht Regine Eibl auch bei der Guacamole und der Schokolade die grosse Herausforderung. Man müsse an günstigeren Kulturmedien arbeiten und es ausserdem schaffen, die Zellen in günstigen Bioreaktoren zu kultivieren, so die Forscherin.

Die Zulassungshürde: Ein weiter Weg bis zur Bewilligung

Gelingt die Skalierung, heisst das nicht, dass man die Produkte direkt an die Konsumentinnen und Konsumenten bringen kann. In weiten Teilen der Welt ist es heute noch nicht erlaubt, Lebensmittel aus dem Bioreaktor zu verkaufen.

Wo gibt es bereits Lebensmittel aus dem Bioreaktor?

Box aufklappen Box zuklappen
Laborfleisch auf dunklem Untergrund neben Knoblauchzehe und Kräutern.
Legende: Ein «Prototypen-Steak» aus dem Labor. SRF

In der Schweiz ist es bisher noch nicht möglich, neuartige Lebensmittel wie Fleisch oder Guacamole aus dem Bioreaktor zu probieren. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen prüft aktuell eine Motion des Parlaments, die es Konsumentinnen und Konsumenten ermöglichen will, solche Produkte zu testen.

Bisher gibt es nur wenige Länder auf der Welt, in denen Laborfoods zugelassen sind. Die Niederlande sind das erste europäische Land, in dem man kultiviertes Fleisch verzehren darf. In Singapur und in den USA sind jeweils im Labor gezüchtete Hühnchenfleischprodukte verschiedener Firmen zugelassen. Und Israel hat der Firma Aleph Farms, die auch in der Schweiz einen Antrag auf die Zulassung gestellt hat, kürzlich eine Zulassung für ihre in-vitro-Rindersteaks erteilt. Probieren kann man die Produkte –  wenn überhaupt – aber erst in ausgewählten Restaurants.

In der Schweiz ist erst ein einziger Zulassungsantrag für ein Lebensmittel aus dem Bioreaktor beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) eingegangen: Im Sommer 2023 stellte das israelische Start-up Aleph Farms zusammen mit der Migros einen Antrag für ein kultiviertes Rindersteak. Gemäss BLV wird das Bewilligungsverfahren etwa zwei Jahre in Anspruch nehmen. Gefordert wird ein umfangreiches Dossier. Zentral sei insbesondere die Lebensmittelsicherheit, teilt BLV-Mediensprecherin Sarah Camenisch auf Anfrage mit.

«Das Zulassungsverfahren ist schon sehr aufwendig. Aber die Intention dahinter ist eben auch der Verbraucherschutz», kommentiert Hühn das Vorgehen. Aber auch mit der Zulassung ist die letzte und womöglich wichtigste Hürde für die Laborfoods noch nicht überwunden.

Die Akzeptanzhürde: Wollen wir überhaupt Food aus dem Labor?

«Die Verbraucherakzeptanz ist zentral», so Tilo Hühn. «Es gibt ja diesen alten Spruch ‹Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht.›»

Das Gottlieb Duttweiler Institut hat letztes Jahr eine Online-Umfrage durchgeführt, um dieser Frage nachzugehen. Die Resultate der Studie sind ernüchternd: 66 Prozent der befragten Schweizerinnen und Schweizer halten es für unwahrscheinlich, dass sie Laborfleisch probieren würden.

Wie es um die Akzeptanz von Schoggi und Guacamole aus dem Labor steht, hat die Studie nicht untersucht. Regine Eibl ist optimistisch: «Ich denke, es ist wichtig, dass man vermittelt, wie diese Produkte hergestellt werden. Das können sich noch nicht viele vorstellen. Aber letzten Endes – das ist meine Meinung – ist auch alles eine Frage des Geschmacks.»

Ob tatsächlich der gute Geschmack entscheidend sein wird, werden wir vielleicht schon in wenigen Jahren wissen. Tilo Hühn und Regine Eibl rechnen damit, dass die Resultate ihrer Forschung schon in etwa fünf Jahren in den Schweizer Supermärkten stehen könnten. Bis dahin gilt es weitere offene Fragen zu klären. So ist beispielsweise die Nachhaltigkeit ein grosses Thema. Diese kann sich zwischen verschiedenen Produkten unterscheiden. Auf die Frage, ob die Herstellung ihrer Zellkultur-Guacamole und Schokolade denn nachhaltiger sei, antwortet Regine Eibl: «Basierend auf unseren Daten zum Kakao und zur Guacamole, können wir davon ausgehen, dass das sehr nachhaltige Produktionsverfahren sind.»

Der Mensch hat gelernt, mit dem Feuer umzugehen. Dann hat er Tiere und Pflanzen domestiziert. Und jetzt sind wir dabei, nächste Schritte zu gehen – und domestizieren Zellen.
Autor: Tilo Hühn

Geht es nach Tilo Hühn, sind Zellkulturen der nächste logische Schritt in der Entwicklung der Ernährungsgeschichte. «Man kann sich vorstellen – wenn Jäger und Sammler, die mit Bauern noch eine Zeit lang koexistiert haben, auf ein bebautes Feld gekommen sind und gesehen haben, dass Menschen Tiere domestiziert und Pflanzen gezielt angebaut und sogar Getränke fermentiert haben – dann muss das für sie ein riesiger Kulturschock gewesen sein.»

Hühn plädiert dafür, dass man sich damit auseinandersetzt, was es eigentlich bedeutet, Zellkulturen herzustellen. Denn so neu sei das gar nicht. «Der Mensch hat gelernt, mit dem Feuer umzugehen. Dann hat er Tiere und Pflanzen domestiziert. Und jetzt sind wir dabei, nächste Schritte zu gehen – und domestizieren Zellen.»

Einstein, 25.04.2024, 21:00 Uhr

Meistgelesene Artikel