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Gibt es zwei Wasser? Das Rätsel um die schwimmenden Eisberge

Wasser ist ein einfaches Molekül, dennoch gibt es Rätsel auf: So ist der Grund, warum Eisberge auf dem Meer schwimmen, noch nicht wirklich verstanden. Doch nun wähnt sich die Fachwelt der Sache auf der Spur.

H₂O – zwei Wasserstoffatome, ein Sauerstoffatom. Die Formel ist denkbar simpel, dennoch besitzt Wasser verblüffende Eigenschaften: Anders als üblich wird es unter Hochdruck nicht zäher, sondern dünnflüssig. Und: Im Gegensatz zu anderen Materialien ist seine feste Form leichter als die flüssige – anstatt unterzugehen, schwimmt Eis auf dem Meer.

Die Fachwelt bezeichnet diese wunderlichen Verhaltensweisen als Anomalien. Den tieferen Grund dafür meinen manche Forschenden nun ausgemacht zu haben: Demnach soll Wasser in Wirklichkeit nicht nur aus einer Sorte bestehen, sondern aus zwei. «Wir glauben, dass sich Wasser aus zwei Zuständen zusammensetzt», sagt Katrin Amann-Winkel, Physikerin am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz. «Und zwar ist der eine Zustand um etwa 20 Prozent dichter als der andere.»

Molekulares Kuscheln

Im hochdichten Zustand kuscheln sich die Wassermoleküle enger zusammen. In der niedrigdichten Phase hingegen halten sogenannte Wasserstoff-Brückenbindungen die Wassermoleküle auf Abstand. Diese beiden Zustände – so will es die Theorie – wandeln sich laufend ineinander um. Demnach besteht ein Glas Wasser überwiegend aus der dichten Phase, in der andauernd winzigste Einsprengsel des weniger dichten Zustands auftauchen, um innerhalb von billionstel Sekunden wieder zu verschwinden.

Nur: Dieses ständige Wirren und Flirren lässt sich bislang selbst mit den raffiniertesten Analysemethoden nicht verfolgen. Deshalb versucht es die Fachwelt indirekt nachzuweisen und schlägt einen Umweg übers Eis ein. «Bei amorphem, also glasartigem Eis sind wir sicher, dass es in zwei Varianten vorkommt, einer hochdichten und einer niedrigdichten», erläutert Amann-Winkel. «Hochdichtes Eis hat eine 25 Prozent höhere Dichte als das niedrigdichte Eis. Legt man es bei Raumtemperatur auf den Tisch, wandelt es sich. Das sieht dann aus wie Popcorn, das platzt.»

Der Popcorneffekt unter der Röntgenlupe

Um daraus auf die Verhältnisse im Wasser schliessen zu können, taut Ihr Team winzige Proben aus hochdichtem Eis schlagartig auf und beobachtet diesen Prozess mit ultrakurzen Röntgenblitzen. Dabei sollte, so das Kalkül, das hochdichte Eis für einen Moment zu hochdichtem Wasser werden – was ein schlagkräftiger Hinweis für die Existenz zweier Wassersorten wäre.

Und tatsächlich: Die Fachleute konnten vor einiger Zeit das Vorhandensein von hochdichtem Wasser beobachten, das sich innerhalb von zehn Mikrosekunden in niedrigdichtes Wasser verwandelte. Ein interessantes Indiz, doch um die Fachwelt restlos zu überzeugen, sind weitere Messungen nötig. Sollte sich dann die Theorie bewahrheiten, wäre unter anderem die Dichtenanomalie des Wassers erklärt. «Wir denken, dass bei einer Temperatur von vier Grad Celsius der Anteil des hochdichten Wassers so hoch ist, sodass es dort die höchste Dichte aufweist», sagt Amann-Winkel. Ein Eisberg, der ja kälter ist als das Meer, würde dann ein wenig mehr von der niedrigdichten Phase enthalten – was ihn leichter macht und auf dem Wasser schwimmen lässt. Beobachten kann man dies beim Packeis in der Arktis: Die Eisschollen bestehen aus gefrorenem Meerwasser und schwimmen auf dem Ozean.

Wissenschaftsmagazin, 15.4.2023, 12:40 Uhr

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