Der Fischfang am Bodensee ist eingebrochen. Heute gehen den wenigen verbliebenen Berufsfischern zehnmal weniger Felchen ins Netz als in den 70er-Jahren. Die Felchen sind die mit Abstand wichtigsten Speisefische im Bodensee. Für die Fischer und die Restaurants um den See ist das eine schlechte Entwicklung, für den See aber eine gute. Denn der Rückgang der Felchen hat direkt mit dem Rückgang der Überdüngung und Verschmutzung des Sees zu tun.
In den Tiefen des Sees gab es in den 70er-Jahren kaum noch Sauerstoff. Fischarten wie der Kilch, die dort unten lebten, starben aus. Jetzt ist der See wieder so sauber und arm an Nährstoffen wie in den 50er-Jahren. Damit ist aber auch der Fischbestand entsprechend gesunken, denn die Nährstoffe hatten für viel Algenwachstum und Plankton gesorgt, kurz: für viel Fischfutter.
«Dramatisch für den See»
Seit fünf Jahren wird der Wandel des Bodensees in einem gross angelegten Projekt erforscht. Forschende aus Österreich, Deutschland und der Schweiz untersuchen in einer Vielzahl von Teilprojekten, wie sich der See verändert.
Selbst Experten wie Piet Spaak vom Schweizer Wasserforschungsinstitut Eawag hätten nicht erwartet, dass der Wandel so schnell und umfassend vor sich geht: «Für uns Wissenschaftler ist das zwar interessant», sagt Spaak, der das Forschungsprojekt leitet, «aber für den See ist es dramatisch». Überrascht wurden die Forschenden insbesondere von der Quagga-Muschel, die sich unglaublich schnell und stark vermehrt.
Riesige Muschelbänke breiten sich aus
Linda Haltiner ist Doktorandin bei Piet Spaak an der Eawag. Sie untersucht zusammen mit Silvan Rossbacher wie stark sich die Muschel schon verbreitet hat.
«Im Bodensee und im Genfersee haben sich unterdessen riesige Muschelbänke gebildet», sagt Haltiner. Es handelt sich um Billionen von Muscheln. Die aus dem Schwarzmeer-Gebiet eingeschleppte Quagga-Muschel verdrängt einheimische Arten und ist zu einer ernsthaften Nahrungskonkurrenz für die anderen Seebewohner geworden.
Eingewanderte Muschel frisst Plankton weg
In Laborversuchen hat Linda Haltiner erforscht, wie viel Plankton die Quagga-Muscheln aus dem Seewasser filtrieren. Es hat sich gezeigt, dass die Muscheln in dieser grossen Zahl den See sozusagen leerfressen könnten. Das tierische und pflanzliche Plankton, Kleinstlebewesen im See wird stark reduziert.
Sie aber sind die Nahrungsgrundlage für viele weitere kleine Arten wie etwa Wasserflöhe, die wiederum das Grundnahrungsmittel der Felchen und anderer Fischarten sind. Filtern die Quagga-Muscheln den See leer, so hat das also unmittelbare Auswirkungen auf fast alle anderen Seelebewesen.
Aquariumsliebling wird häufigster Bodenseefisch
Parallel dazu hat sich am Bodensee auch der dreistachlige Stichling explosionsartig vermehrt. Der Stichling ist an zahlreichen Orten vor mehr als 100 Jahren von Aquarienbesitzern ausgesetzt worden und hat aber lange unauffällig im Uferbereich gewohnt. Jetzt bevölkert der Stichling auf einmal auch die offenen Wasserflächen.
«Das sind unterdessen richtige Schwärme», sagt Seewandel-Projektleiter Piet Spaak, «wenn man alle Fische im See zusammenzählt, sind davon 80 bis 90 Prozent Stichlinge». Sie sind eine weitere grosse Nahrungskonkurrenz für die Felchen.