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Raubfisch auf dem Vormarsch Der Klimawandel macht den Wels stark

Grosse Welse kommen dank warmer Gewässer auch in der Schweiz häufiger vor – teils bis zu zwei Meter lang und überraschend nah bei Menschen. In Bayern griffen zwei von ihnen vor kurzem Badegäste an. Kein Grund zur Panik, sagen Forschende. Denn der Raubfisch sei normalerweise scheu.

Während Äschen und Forellen in Hitzesommern oft leiden oder sogar verenden, legt der Wels dann erst richtig los. «Bei hohen Wassertemperaturen von 25 Grad fühlt er sich sehr wohl», sagt Jakob Brodersen vom Wasserforschungsinstitut Eawag. Aufgrund der Folgen des Klimawandels könne er sich in der Schweiz und unseren Nachbarländern schneller vermehren.

In diesem Frühling hat der Biologe erstmals 80 Welse in Schweizer Gewässern mit einem Sender ausgestattet, um das Verhalten der Raubfische genauer zu untersuchen. Darunter seien auch grosse Exemplare von fast zwei Metern gewesen, erklärt Brodersen.

Grossmaul mit grossem Appetit

Diese Giganten fressen fast alles, was in ihr Maul passt und sie irgendwie noch schlucken können – egal ob Fisch, Bisamratte oder kleine Ente. «In Frankreich habe ich sogar schon eine Schildkröte und eine Schlange im Magen eines Wels gefunden», sagt der Eawag-Forscher.

Ein Mann mit gelber Regenjacke und Stirnlampe hält lachend einen grossen Wels in den Händen.
Legende: Andrin Krähenbühl, Leiter der Fischereiberatungsstelle an der Eawag, freut sich über den Fang eines prächtigen Welses, der aber keine Rekordgrösse hat. Eawag

In der Schweiz hat sich der Wels vor allem im Rhein und in der Aare sowie deren grösseren Zuflüsse wie der Limmat etabliert. Aber auch in grösseren Seen wie etwa im Genfer-, Neuenburger-, Zürich- oder Greifensee kommt er zahlreich vor. Gemäss dem Bundesamt für Umwelt (Bafu) wurden allein im Jahr 2023 insgesamt 7622 Welse gefangen. Zum Vergleich: Zehn Jahre zuvor waren es 1432 Welse, zwanzig Jahre zuvor bloss 506 Welse.

Auch in Zürich am Höngger Wehr

«Insbesondere Staubereiche von Flüssen sind Hotspots für Welse, weil es dort kaum Strömung hat», sagt Lukas Bammatter, Co-Leiter der Fischerei- und Jagdverwaltung des Kantons Zürich. Erst diese Woche habe er in der Limmat kurz vor dem Höngger Wehr mehrere etwa 1.5 Meter lange Welse gesehen.

«Obwohl sich die Welse in der Nähe der im Sommer hochfrequentierten Ausstiegsstelle für Schlauchboote aufhalten, muss man keine Angst vor ihnen haben», betont Bammatter. Angriffe auf Menschen wie kürzlich in Deutschland seien äusserst selten und kämen nur vor, wenn ein Männchen beim Bewachen eines Geleges stark gestört werde.

Am Brombachsee in Bayern hat Ende Juni ein über 2 Meter langer, 90 Kilogramm schwerer Wels mindestens fünf Badegäste bei einer Schwimminsel angegriffen und verletzt. Nachdem ein Polizist mehrfach versucht hatte, ihn zu vertreiben, erschoss er ihn letztlich mit der Dienstwaffe. Zwei hinzugezogene Angler holten den Riesenfisch danach mit einem Boot aus dem See, sodass der Badebereich wieder freigegeben werden konnte.

Zweiter Verletzter in Bayern

Diese Woche ist es dort zu einem weiteren Welsangriff gekommen. Ein 69-jähriger Schwimmer wurde in den Arm gebissen und hatte eine blutende Schürfwunde.

«Der aktuelle Vorfall hat sich bei einer anderen Badeplattform ereignet, die anschliessend von Tauchern abgebaut wurde», sagt Janine Mendel, Sprecherin des Polizeipräsidiums Nürnberg in Mittelfranken. Als Sofortmassnahme soll jetzt eine Echolotbefahrung entlang der Seezentren weitere Laichplätze entdecken, um für die Sicherheit der Badegäste zu sorgen.

Eine Hand berührt einen betäubten Fisch.
Legende: Bevor der Fisch für die Schweizer Studie besendert wird, kommt er vorschriftsgemäss noch in ein Betäubungsbad. Eawag

Es handle sich beim Brombachsee um eine Häufung unglücklicher Zufälle, sagt der Eawag-Forscher Brodersen. Denn die Fische seien zwar zum Teil extrem gross, wären aber in der Regel eher scheu und hätten anders als ein Hecht auch keine spitzen Zähne. Man dürfe jetzt nicht in Panik verfallen, wenn man in Flüssen oder Seen baden gehe.

«Ich fühle mich jedenfalls immer noch stärker als ein normal grosser Wels», fügt er lachend hinzu. Wichtig sei es, dass sich Badende bei einer Begegnung mit dem Wels ruhig verhalten und nicht hektisch im Wasser herumspritzen. Normalerweise passiere dann auch nichts.

An vielen Orten wurde der Wels damals vor allem auch aktiv von Menschen in Schweizer Gewässer wieder eingeführt. Mit seiner wachsenden Dominanz geraten jedoch Arten wie etwa die Forelle oder die Barbe zunehmend unter Druck.

«Als Spitzenprädator verändert er mit seinem grossen Appetit aber auch das gesamte Nahrungsnetz», sagt Brodersen. Bisher wisse man aber noch zu wenig, wie sich dies langfristig auswirke und ob es ein gezieltes Management brauche.

Mehrere Menschen in einem Boot auf einem Fluss.
Legende: Mit diesem Boot fangen die Forschenden Welse in der Aare vorübergehend ein. Eawag

Der grösste Süsswasserfisch Europas wächst rasant. «Bereits im ersten Jahr erreicht er bis zu 30 Zentimeter Länge», sagt Alexander Brinker von der Fischereiforschungsstelle LAZBW in Langenargen am Bodensee. Nach sechs bis sieben Jahren erreicht er in einem geeigneten Gewässer oft sogar 1 Meter Länge .

Je wärmer es ist, umso besser gedeihen sie. «Bei Kälte werden Welse dagegen inaktiv, liegen nur noch am Grund und fressen nicht mehr», betont der Forscher aus Baden-Württemberg.

Doch mit steigenden Wassertemperaturen legen sie nicht nur an Länge, sondern vor allem auch an Gewicht zu. In wärmeren Regionen wurden schon Riesenwelse von weit über 2.5 Meter Länge und um die 100 Kilogramm gefangen. «Auffällig ist, dass sich solche Rekorde in den letzten Jahren tendenziell häufen», betont Brinker.

Kleine Operation für ein grosses Projekt

Die Giganten mit den langen Barteln am Kopf haben zwar nur kleine, unscheinbare Augen. Doch aufgrund ihres hochentwickelten Seitenlinienorgans entlang des Körpers können sie auch in völliger Dunkelheit noch perfekt Beute lokalisieren und jagen.

Anders als der Hecht, der eher grösserer Beute nachstellt, ist der Wels nicht wählerisch. Je nach Angebot frisst er auch Unmengen kleinere Tiere wie Krebse oder invasive Grundeln. «Diese Flexibilität macht ihn ökologisch gegenüber anderen Fischen sehr mächtig», sagt Brinker.

Im südfranzösischen Fluss Tarn haben Welse sogar eine bisher völlig ungewöhnliche Jagdmethode entwickelt, um dort Tauben direkt am Ufer zu schnappen. So springen die Fische kurz aus dem flachen Wasser und holen sich blitzschnell den Vogel. «Der Wels ist in jeder Hinsicht extrem anpassungsfähig», betont Brinker. Anders als andere Fische sei er vor allem in sehr warmen, sauerstoffarmen Gewässern besonders leistungsfähig.

Heisse Schweizer Flüsse und Seen

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Eine Schweizerkarte mit farbigen Punkten.
Legende: Screenshot/Bafu/4.7.25/12:20 Uhr

Die anhaltende Hitze hat die Temperaturen der Oberflächengewässer stark aufgeheizt. Auch wenn es aufgrund des Niederschlags in gewissen Gebieten kurzfristig wieder etwas kühler geworden ist, lagen die maximalen Temperaturen der vergangenen 24 Stunden am Freitag, 4. Juli, um 12.20 Uhr, immer noch sehr hoch: In der Limmat bei Baden AGwaren es 27.3 Grad, im Ponte Tresa TI 28 Grad und in der Rhône bei Genf 26.5 Grad. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) aktualisiert die Daten der Schweizer Gewässer laufend.

«Im Moment bewegen sich die Oberflächentemperaturen der meisten Seen im Bereich der höchsten Werte, die sie je erlebt haben», sagt Martin Schmid von der Eawag. Die Temperaturen im Murten- und Hallwilersee pendelten in den letzten Tagen beispielsweise um 27 Grad und selbst im höher gelegenen Ägerisee wurden mehr als 25 Grad erreicht.

Gemäss den Temperaturprognosen der Plattform Alplakes bleiben bis am Wochenende die Seetemperaturen voraussichtlich auf dem aktuellen Niveau. Anfang nächster Woche bringt der Wetterumschwung dann zumindest vorübergehend eine gewisse Abkühlung.

Welse vermehren sich im Frühling oder Sommer bei steigenden Temperaturen, ab etwa 18 Grad, aber optimal um die 22 Grad. Die paarungsbereiten Männchen schlagen dann mit der Schwanzflosse eine Vertiefung in den Boden des Gewässers.

Dort laicht das Weibchen nach dem Balzritual meist Hunderttausende von kleinen Eiern in mehreren klebrigen Klumpen ab, die sofort befruchtet werden. Anschliessend überwacht das Männchen das Gelege, bis die kaulquappenähnlichen Larven schlüpfen.

Selfies mit Wels

Trotz der ökologischen Risiken wird der Wels von vielen Anglern gefeiert. Seine schiere Grösse und Kraft machen ihn zur Trophäe mit Kultstatus – besonders in den sozialen Medien. Videos von spektakulären Fängen und waghalsigen Uferjagden haben immer viele Fans.

«In der Tat ist es eine grosse Herausforderung diesen Riesenfisch, an Land zu ziehen», sagt Brodersen. Am besten packe man ihn mit Handschuhen am Unterkiefer an. Zusammen mit seinem Team hat er für die mehrjährige Studie dutzenden Welsen einen Sender in die Bauchhöhle implantiert. Damit alle Angelnden dies sofort auch erkennen können, tragen die Fische am Rücken noch einen farbigen Marker.

Ein Mann mit Mütze hält einen Wels in den Händen.
Legende: Welse haben keine spitzen Zähne, können aber dennoch zubeissen. Eawag

Durch steigende Temperaturen der Oberflächengewässer boomt der Wels nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Europas Flüssen. «Er wächst schneller, laicht öfter und erobert neue Reviere», sagt Alexander Brinker. Der Wels hat nicht nur in warmen Gewässern gegenüber anderen Fischen einen Vorteil, sondern vor allem auch, wenn diese trüb oder ökologisch gestört sind. Er ist relativ unempfindlich und weiterhin noch topfit, wenn andere Tiere längst schwächeln.

Wels landet auf dem Teller

Die zwei Welse im Brombachsee sorgen mitten in der Badesaison für grosses Aufsehen. Der eine lebt noch, während der andere sofort getötet und kurz danach im Treuchtlinger Gasthof Zum Goldenen Lamm auf die Speisekarte gesetzt wurde, um ihn in über 100 Filetportionen zu verwerten.

Doch ist er auch lecker? «Ich habe auch schon mal Wels gegessen», sagt Brodersen. Er sei sehr schmackhaft und ein guter Speisefisch. Allerdings sei er nicht das, was wir bei uns kennen und traditionell essen.

Radio SRF 4 News, 3.7.2025, 16:45 Uhr;liea

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