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Schweigen im Wald Mythos entzaubert – Waldbäume sind weder gesprächig noch sozial

Bäume sind unter dem Boden rege am Chatten. Sie warnen und schützen einander. Das klingt gut. Lässt sich aber wissenschaftlich nicht stützen.

Leider nein, sagt Justine Karst. Die Wurzelforscherin von der kanadischen Universität Alberta Edmonton findet die Idee von einem «Wood Wide Web» zwar selbst sehr gewinnend, aber diese gehe weit über die Wissenschaft hinaus.

Auf dem Bild ist ein Mykorrhizapilze.
Legende: Die Ausläufer der Mykorrhizapilze verbinden die Wurzeln der Waldpflanzen unterirdisch miteinander. Sie liefern den Pflanzen Nährstoffe und Wasser und erhalten im Gegenzug Zucker. Doch kommunizieren die Bäume auch? Im Bild ist ein Goldröhrling, Mykorrhizapilz in Symbiose mit Lärchen. Imago Images / imagebroker

Karst erforscht sei über 20 Jahren das unterirdische Leben von Waldbäumen. Speziell die Mykorrhizen, die symbiotische Lebensgemeinschaft von Baumwurzeln und Pilzen, die einander mit Nährstoffen versorgen.

Unhaltbare Behauptungen florieren seit Jahren

In populärwissenschaftlichen Büchern und Filmen wuchern nun aber seit Jahren romantisierende Ideen, die die bisher bekannte Funktion der Mykorrhizen strapazieren und weiterspinnen. Der ganze Waldboden sei weitläufig von solchen Baumwurzel-Pilz-Geflechten durchwoben. Über dieses Netzwerk würden Bäume miteinander kommunizieren, einander warnen und «Mutterbäume» gezielt ihre Nachkommen füttern.

Diese Mythen entzaubern Justine Karst, Melanie Jones und Jason Hoeksema in ihrer aktuellen Übersichtsstudie . Sie seien sehr offen ans Thema herangegangen und nicht mit der Absicht, den schönen Traum von einem lieben Wald zu demontieren, sagt Karst.

Am Anfang war der Zweifel am eigenen Wissensstand

Als sie diesen Ideen von gesprächigen und sozialen Waldbäumen immer öfter begegnet sei, habe die Wurzelforscherin Karst zuerst gedacht: «Ich kann mich nicht erinnern, solche Studien gelesen zu haben. Ich bin nicht à jour. Ich muss mich dringend aufschlauen und die entsprechenden wissenschaftlichen Studien lesen.»

Und als dann ihr Sohn erzählte, er habe gerade in der Schule gelernt, dass Bäume unterirdisch miteinander kommunizierten, da habe sie realisiert, wie weit verbreitet diese Idee sei.

Widersprüchliche und mangelhafte Studien

Justine Karst hat zusammen mit ihren Mitautorinnen die wissenschaftlichen Studien gesichtet. Die drei sind rasch auf Unstimmigkeiten gestossen. Die wenigen wissenschaftlichen Studien, die sich mit diesen Fragestellungen im engeren Sinn befassen – es sind nur gerade 26 – stützen diese Thesen nicht oder ungenügend.

Die Studien entsprechen teilweise nicht wissenschaftlichen Standards. Sie sind untereinander widersprüchlich. Die Resultate variieren stark oder sie lassen sich schlicht auch anders interpretieren. Trotzdem werden sie selbst in der Wissenschafts-Community gerne, oft und vor allem immer öfter zitiert.

Auch Wissenschaftler glauben gerne ans Wood Wide Web

Die drei Mykorrhiza-Expertinnen haben sich nämlich auch noch angeschaut, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit diesen populären Thesen umgehen. Und da zeigte sich, dass Forschende jene Studien, welche die romantisierenden Behauptungen stützen, viel häufiger zitieren als die Studien, die diese Thesen widerlegen. Allein in den vergangenen 25 Jahren habe sich die Zahl wissenschaftlich nicht gestützter Behauptungen verdoppelt. Die Zitationspraxis sei verzerrt.

Auch Wissenschaftler verfallen also manchmal Ideen, einfach nur, weil sie schön sind.

Wissenschaftsmagazin, 25.02.2023, 12:40 Uhr

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