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Sinn für Zahlen Von links nach rechts – wie Bienen Zahlen sortieren

Bienen können zählen. Und zwar ordentlich. Ihr Gehirn reiht Zahlen der Grösse nach ein: Von links nach rechts. Ähnlich wie wir Menschen.

Bienen haben einen Zahlensinn. Also ein intuitives Verständnis für zählbare Einheiten – wie andere Tiere. Auch Spinnen, Fische, Kraken, Raben und Affen können zählen. Die Biene tut dies dazu noch sehr ordentlich. Das legt die Studie eines französisch-schweizerischen Forschungsteams nahe.

Die Gruppe hat Honigbienen trainiert, eine Abbildung mit unterschiedlichen geometrischen Formen anzufliegen. Bilder mit jeweils gleich vielen Kreisen, Drei- oder Vierecken.Dafür wurden die Bienen mit einer Zuckerlösung belohnt.

Links locken die kleinen Zahlen, rechts die grossen

Nach der Trainingsphase wurden den Versuchstierchen jeweils zwei identische Bilder gleichzeitig präsentiert. Es zeigte sich, dass die Bienen bei Abbildungen mit wenigen Formen – also beispielsweise nur einem oder zwei Kreisen – bevorzugt das Bild links anflogen. Während sie bei vier oder fünf Kreisen das Bild rechts priorisierten.

Der mentale Zahlenstrahl im Gehirn der Honigbienen

Die Forschenden lesen aus diesem Verhalten, dass das Bienengehirn Zahlen von links nach rechts aufsteigend einordnet. Zahlen werden also auf einer Art mentalem Zahlenstrang repräsentiert. Das Gehirn der Bienen stellt offensichtlich einen Zusammenhang zwischen Quantitäten und Raum her. So wie es auch das Gehirn von Vögeln tut und meist auch das des Menschen.

Die Richtung der Zahlen im menschlichen Gehirn

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Der mentale Zahlenstrahl im Gehirn des Menschen zeigt von links nach rechts – meistens jedenfalls. Kleine Zahlen werden mit links assoziiert, grosse Zahlen mit rechts.

Lange nahm man an, das sei gelernt und dadurch geprägt, dass in vielen Kulturen von links nach rechts geschrieben und gelesen wird. Tatsächlich zeigt sich, dass Menschen aus Kulturen mit einer umgekehrten Schreibrichtung kleine Zahlen nicht a priori mit links und grosse Zahlen nicht mit rechts assoziieren. Leben diese Menschen jedoch längere Zeit in einer westlichen Kultur, richtet sich auch ihr mentaler Zahlenstrang nach einigen Jahren nach rechts aus.

Eine Studie mit Menschen aus dem Iran konnte dies nachweisen und stützt damit die These, dass die Links-rechts-Richtung der Zahlenrepräsentation im menschlichen Gehirn nicht ausschliesslich erlernt, sondern zumindest teilweise angeboren ist.

Benachbarte Hirnareale verknüpfen Raum und Zahl

Warum dies so ist, ist nicht sicher. Eine Erklärung könnte die Organisation des Gehirns selbst sein. Die Abbildung von Raum und jene Abbildung von Zahlen finden in benachbarten Hirnarealen statt. Möglich, dass die Nervenzellen im einen Areal mit den Nervenzellen im anderen kommunizieren und Raum und Zahl so miteinander in Kontakt kommen.

Vögel, Bienen und selbst Spinnen tun’s

Auch wenn nicht alle Tiere mit Zahlensinn so ordentlich zählen wie Bienen, Vögel und Menschen, hat das Gespür für Zahlen allein schon einen hohen evolutionären Nutzen. Es hilft jenen, die es haben, zu überleben. Ein Tier, das mehr Futterstücke von wenigen unterschieden kann, kommt gezielter zu ausreichend Nahrung. Bienen, die sich auf ihren kilometerlangen Flügen an der Anzahl Landmarken orientieren, haben eine grosse Chance, ihre Futterquellen wieder zu finden. Meisen, die sich mit Alarmrufen die Anzahl lauernder Feinde mitteilen, können sich besser schützen. Löwen, die sich die Anzahl von Eindringlingen ins Revier zurufen, können besser entscheiden, ob sich ein Angriff lohnt oder doch eher der Rückzug.

Der Zahlensinn – immer wieder neu erfunden

Der Zahlensinn scheint angeboren zu sein. Schon Babys können es und auch Küken, die frisch aus dem Ei geschlüpft sind.

Woher diese Gabe kommt, ist unklar. Möglich, dass ein ferner gemeinsamer Vorfahr von Menschen, Affen, Vögeln, Spinnen, Tintenfischen oder Bienen vor Hunderten Millionen Jahren uns diese Intuition für zählbare Mengen vererbt hat. Wahrscheinlicher aber ist es, dass der Zahlensinn immer wieder neu erfunden wurde. Denn ihn zu haben, ist schlicht genial.

Wissenschaftsmagazin, 22.10.2022, 12:40 Uhr

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