Schon lange wünscht sich die Indonesierin Zulbaidah ein Orang-Utan-Baby als Haustier. Schliesslich bittet ihr Mann einen Bauern aus dem Dorf, das Tier zu beschaffen. Weil der Auftraggeber ein hoher Armeeoffizier ist, wird der Wunsch als Befehl aufgefasst.
Als das winzige Orang-Utan-Baby, ein Männchen, im Dorf Kabanjahe in Nordsumatra eintrifft, ist es keine drei Wochen alt. «Es hatte noch keine Zähne», erinnert sich Zulbaidah.
Die Familie nennt das Menschenaffenkind Chrismon. Chrismon wird heimlich – in einem Sack – zu Zulbaidah gebracht. Denn die Aktion ist illegal: Orang-Utans sind streng geschützt.
Die Mutter von Chrismon wurde wohl erschossen. Denn nur mit einem Mord kommt man an Affenbabys, die sich in diesem Alter noch fest ans Fell der Mutter klammern. Zulbaidah will darüber nicht reden.
«Nachts schlief er oft bei uns im Bett», erzählt sie. Ihre schönsten Erinnerungen an Chrismon? «Das gemeinsame Fernsehen. Wir lagen jeweils vor dem TV zusammen auf dem Fussboden.» Zwischendurch sei der kleine Affe aufgestanden und habe sich Früchte aus dem Kühlschrank geangelt.
Eine Gefahr für Menschen
20 Jahre hält die Familie den Orang-Utan bei sich im Haus. Bis er so gross und stark ist, dass er zur Gefahr wird.
Ausgewachsene Orang-Utan-Männchen sind ausserordentlich kräftig, niemand kann sich von alleine aus deren Umklammerung lösen. Eines Tages packt Chrismon einen Verwandten am Bein und lässt nicht mehr los.
Nur mit vereinten Kräften gelingt die Befreiung. Der Orang-Utan muss gehen. Zulbaidah zeigt sich selber an und entkommt so einer Strafe. Die Forstpolizei holt Chrismon ab.
Unter Schweizer Obhut
Chrismon lebt seit 2016 sozusagen in Schweizer Obhut. In einem Käfig der Orang-Utan-Pflegestation in der Nähe von Medan in Nordsumatra. Aufgebaut wurde sie von der Schweizer Umweltstiftung PanEco.
Hier warten zurzeit etwa 60 Orang-Utans auf ein besseres Leben. Sie sind nach Waldrodungen gerettet, als illegal gehaltene Haustiere konfisziert oder angeschossen auf Plantagen eingefangen worden.
Chrismon gehört zu den Tieren, die nicht mehr zurück in den Regenwald können. Wie man in der Wildnis überlebt, lernt er nicht mehr.
Auch andere Affen können nicht mehr in den Regenwald zurück. Etwa Leuser, ein blindes Orang-Utan-Männchen. Er galt als ausgewildertes «Erfolgstier», das viele Jahre wieder wild im Bukit Tigapuluh-Nationalpark lebte.
Doch dann verirrte sich Leuser in eine angrenzende Plantage. Bauern schossen auf ihn. Von Luftgewehrkugeln durchsiebt, die auch beide Augen trafen, lebt Leuser seither blind in der Pflegestation.
Auch die Geschichte von Hope, einer Orang-Utan-Frau, ist tragisch. Hope ist schwer verletzt, als man sie in einem abgeholzten Waldstück in Nordsumatra findet. 74 Luftgewehrkugeln stecken in ihrem Körper. Im Auftrag von PanEco gelingt es dem Schweizer Chirurgen Andreas Messikommer, ihr das Leben zu retten. Auch Hope ist blind.
Hoffnung und Hilfe
Bisher leben die behinderten Menschenaffen in Käfigen. Doch das wird sich ändern: Einige von ihnen werden bald in den «Orangutan Haven» umziehen.
Unter dem Motto «Jedem seine Insel» baut PanEco in Nordsumatra eine Art Freiluftheim für Orang-Utans, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr zurück in den Regenwald können. Der Zoologe Ian Singleton, Direktor des Sumatra-Orang-Utan-Schutzprogrammes von PanEco, leitet das Projekt.
«Diese Menschenaffen können 50 Jahre alt werden», sagt Ian Singleton. «Wer nicht ausgewildert werden kann, muss jahrzehntelang in einem Metallkäfig eingesperrt leben. Das will ich nicht.»
Bald können neun Menschenaffen ihre Käfige der Pflegestation verlassen und im «Orangutan Haven» auf künstlichen Inseln leben. Dort können sich die Affen tummeln und klettern.
Projekt mit Hoffnung
Der Haven, etwa so gross wie 60 Fussballfelder, erinnert mit seiner tropischen Vegetation an den Regenwald. Er ist aber weit mehr als ein menschenaffenwürdiger Wohnort.
Das Angebot ist vielfältig: Restaurant, Amphitheater, Bambusbauten, Menschenaffen-Forschungszentrum, Naturlehrpfad, Ausbildungszentrum für biologische Landwirtschaft.
Regina Frey, Gründerin und Präsidentin der Umweltstiftung PanEco, hat zusammen mit Ian Singleton das Haven-Konzept entwickelt. «Hier kann man den tropischen Regenwald mit seiner einzigartigen Artenvielfalt hautnah erleben», sagt sie.
Ausserdem hofft sie, dass der Haven dazu beiträgt, «dass die Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik erkennen, welche gewichtige Rolle der tropische Regenwald für unser Leben hat. Und dass aus dieser Erkenntnis eine globale und wirksame Schutzstrategie entsteht».
Eröffnung ist 2020 geplant
Der Haven ist ein wichtiger Beitrag für die Arterhaltung. Denn auch behinderte Orang-Utans können sich fortpflanzen. Der blinde Orang-Utan-Mann Leuser etwa zeugte sogar Zwillinge, die mit ihrer Mutter im Regenwald angesiedelt wurden.
Verläuft alles nach Plan, werden die ersten Haven-Besucher 2020 über die grosse Bambusbrücke zu den Orang-Utans gehen können.