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Ein Jahr James-Webb-Teleskop Tief in den faszinierenden Welten des infraroten Universums

Das James-Webb-Weltraumteleskop gab uns in den letzten Monaten faszinierende Einblicke ins Universum – dank Bildern, die zum Beispiel Alyssa Pagan bearbeitet hat. Als Scientific Visual Developer übersetzt sie die Daten des Infrarotteleskops in Bilderwelten mit Poster-Potenzial. Für sie ein Traumjob.

Alyssa Pagan

Scientific Visual Developer

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Nach ihrem Abschluss in Kunst und Design studierte sie Astronomie. Seit 3,5 Jahren arbeitet sie am Space Telescope Science Institute in Baltimore als Wissenschaftliche Bildentwicklerin. Das Space Telescope Science Institute leitet den Betrieb der Weltraumteleskope James-Webb und Hubble.

SRF: Alyssa Pagan, inwiefern ist die Arbeit für das James-Webb-Teleskop etwas Besonderes?

Derzeit arbeite ich vor allem für das Hubble- und das James-Webb-Teleskop. Hubble zeichnet vor allem im Bereich des sichtbaren Lichts auf, James-Webb hingegen im infraroten Bereich. Das macht einen entscheidenden Unterschied für die Bildbearbeitung.

So unterscheiden sich Hubble und James-Webb: 

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Das Hubble-Teleskop ist seit über 30 Jahren im Einsatz. Es schaut unser Universum vor allem im sichtbaren und ultravioletten Bereich des elektromagnetischen Spektrums an. Sein Nachfolger James Webb schaut im Bereich der infraroten Strahlung ins All und kann durch einen sehr viel grösseren Spiegel mehr Licht sammeln und viel weiter ins Universum zurückschauen. 

Zudem kreist Hubble sehr nah um die Erde (550 Kilometer), während James-Webb in 1,5 Millionen Kilometer Entfernung auf der sonnenabgewandten Seite der Erde seine Bilder macht.

Es ist vergleichbar mit einem Röntgengerät und einem MRI: Beim MRI sieht man das Gewebe, es verschleiert jedoch die Knochen – das ist Hubble. Der Röntgenstrahl hingegen sieht direkt bis zum Knochen durch – das ist James-Webb.

Welche Dinge können Sie dank des James-Webb-Teleskops sehen?

Die Daten von Hubble zeigen zum Beispiel eine Staubwolke. Bei James-Webb ist diese Staubwolke fast schon ein Loch, weil der Infrarot-Detektor durch Staub hindurchschauen kann.

Der Nebel «Southern Ring»
Legende: Der Südliche Ringnebel: Alyssa Pagan: «Bei der Bearbeitung dieser letzten Hülle eines sterbenden Sterns, sah ich viele Galaxien. Eine davon war eine perfekte Spiralgalaxie. Sie war ganz deteilreich beim Reinzoomen. Ohne James Webb wäre es nicht möglich gewesen, sie zu sehen». NASA, ESA, CSA, STScI, NIRCam

Weil das James-Webb-Teleskop hochauflösend ist und dank der Infrarotkamera sehr tief ins All schauen kann, sieht man in fast jedem Bild eine Galaxie! Das ist Wahnsinn.

Warum Wahnsinn?

Richtet man Hubble auf ein bestimmtes Objekt im All, bekommt man das, was man erwartet. Zudem arbeitet Hubble im sichtbaren Licht und kann entfernte Galaxien wegen der Rotverschiebung nicht sehen. Deshalb wurde das Infrarot-Teleskop James-Webb gebaut.

Ich bin wahrscheinlich die erste Person, die diese Galaxie je gesehen hat!
Autor: Alyssa Pagan Scientific Visual Developer

Was ich aber nicht erwartet hatte, ist, dass man in den Daten von James-Webb Entdeckungen macht, selbst wenn man nicht danach sucht. Ich suche zum Beispiel nach einem planetaren Nebel und bekomme 50 Galaxien im Hintergrund dazu. Bei jedem Bild, das ich bearbeite, denke ich: «Ich bin wahrscheinlich die erste Person, die diese Galaxie je gesehen hat!»

Was ist Rotverschiebung?

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Auf dem Bild ist eine Erklärgrafik zur Rotverschiebung zu sehen.
Legende: Shutterstock / petrroudny43

Seit dem Urknall vor 13,79 Milliarden Jahren dehnt sich das Universum aus – und mit ihm das Licht, das von fernen Himmelsobjekten zur Erde gelangt. Dabei vergrössert sich die Wellenlänge des Lichts und verschiebt sich auf dem elektromagnetischen Spektrum in Richtung der infraroten Wellenlängen, Astronomen sprechen von der Rotverschiebung.

Je weiter weg ein Objekt ist, desto stärker ist diese Rotverschiebung. Das kann so weit gehen, dass wir beispielsweise einen weit entfernten Stern gar nicht mehr im sichtbaren Licht sehen können, sondern nur noch im infraroten Bereich. Aus der Rotverschiebung können Astronomen ermitteln, wie lange das Licht unterwegs war und wie alt das Universum ist.

Sie arbeiten mit den Farben rot, gelb und blau – woher wissen Sie, was welche Farbe hat?

Licht wird durch spezielle Wellenlängen eingefangen. Im Prinzip wie beim Smartphone: Die Kamera sammelt Licht mit drei Filtern für verschiedene Wellenlängen: rot, grün, blau. Die verbindet sie zu einem Farbbild. Wir tun dasselbe. Nur gibt es viel mehr Filter. James-Webbs NIRCam- eine Kamera für den nahen Infrarot-Bereich – hat zum Beispiel 27 Filter für 27 Wellenlängen.

Der Carina-Nebel
Legende: Der Carina-Nebel: Für dieses Bild nutzte Alyssa Pagan sechs Filter: «Die blauen Sterne sind so heiss, dass sie die Gas- oder Staub-Areale der «Bergkette» einfach abtragen – wie die Erosion eines Berges durch starken Regen. Diesen Vergleich mit Geschehnissen auf der Erde wollten wir mit der Farbgebung hervorheben.» NASA, ESA, CSA, and STScI

Jeder Wellenlänge ordnen wir eine Farbe zu. Die kürzeren, energiereichen Wellenlängen, die blauere, die längeren, weniger energiereichen, die rötere. Die blauen Sterne in einem Galaxie-Bild sind die heissen Regionen. Wir sehen auch Gas, das von den Sternen aufgeheizt wird. Das ist die Magenta-Farbe, oft Wasserstoff.

Das menschliche Auge kann infrarote Wellenlängen nicht sehen. Wie machen Sie die Daten sichtbar?

Nehmen wir Wasserstoff, er reflektiert im sichtbaren Licht bei einer Wellenlänge von 655 Nanometern. Je nach Stärke der Rotverschiebung befindet er sich aber bei James-Webb auf einer anderen Wellenlänge, zum Beispiel bei 800 Nanometern. Ich muss also zurückrechnen. Wir nehmen unser Verständnis von dem, was wir sehen, und wenden es aufs Infrarote an.

Weitere eindrückliche Bilder des James-Webb-Teleskops

Wie wahr ist, was wir auf den Bildern sehen?

Ich mache gerne eine Parallele zur Musik, wenn wir ein Lied in verschiedenen Oktaven spielen. Wir können es so hoch spielen, dass nur Hunde es wertschätzen können. Wenn wir es ein paar Oktaven runternehmen, wird es auch für uns geniessbar. Es ist nicht exakt derselbe Song, die Beziehung zwischen den Noten aber bleibt dieselbe.

Das Gespräch führte Corinna Daus.

Wissenschaftsmagazin, 24.12.2022, 12:40 Uhr ; 

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