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Wie queer sind neue Opern und neues Musiktheater?

Jahrhundertelang wurde auf der Opernbühne geliebt, heterosexuell geliebt. Seit wenigen Jahrzehnten erst stehen eine Handvoll schwule Paare, noch weniger lesbisch Liebende und bloss eine trans Person im Zentrum von ein paar wenigen Opern.

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Die universelle Kunstform Oper war doch eigentlich schon immer recht queer – oder doch nicht? Seit den ersten Werken der Gattung traten schliesslich Männer verkleidet als Frauen auf, Frauen verkleidet als Männer. Hohe Stimmen intonierten männliche Charaktere, tiefe weibliche. Stimm- und Kleidertravestie waren gang und gäbe. Lange fielen explizit queere Stoffe und Homoerotik aber der Zensur oder Verschleierung zum Opfer, gleichgeschlechtliche Liebe durfte auch auf der Bühne nicht sein.

Doch seit der letzten Jahrtausendwende werden die Liebespaare in Opern nun allmählich diverser, und das Repertoire beginnt so, die gesellschaftliche Realität etwas adäquater abzubilden. Einer der Pioniere, der ein fesselndes Werk mit schwulem Protagonistenpaar komponiert hat, ist der Basler Andrea Scartazzini. In der Sendung erzählt er von der Entstehung seines hochdramatischen und gross besetzten «Edward II.» aus dem Jahr 2017 und von dessen musikalischen Besonderheiten.

In St. Gallen feierte 2023 die erste abendfüllende Oper über eine trans Ikone ihre Uraufführung: «Lili Elbe» des US-Amerikaners Tobias Picker. Um die Geschichte der dänischen Landschaftsmalerin authentisch erzählen zu können, arbeitete Picker während des Kompositionsprozesses mit der Baritonistin Lucia Lucas zusammen, welche auch ihre eigenen Erfahrungen einbrachte.
Philipp Venables schliesslich vertonte für die Opernfestivals in Aix-en-Provence und Bregenz ein queeres Kultbuch aus den 1970er-Jahren: «The Faggots & Their Friends Between Revolutions» und schuf damit ein weiteres schillerndes Werk, welches andere Lebenswelten als die heterosexuelle auf die Bühne bringt.
Ein Streifzug durch die queere Operngeschichte bis heute.

Gespielte Werke:

W. A. Mozart: Apollo et Hyacinthus (1767)
K. Szymanowski: Król Roger (1926)
F. Poulenc: Les Mamelles de Tirésias (1947)
B. Britten: Billy Budd (1951)
St. Wallace: Harvey Milk (1995)
P. Eötvös: Angels in America (2004)
R. Gordon: 27 (Kammeroper über Gertrude Stein und Alice B. Toklas, 2014)
Ch. Wuorinen: Brokeback Mountain (2014)
A. Scartazzini: Edward II. (2017)
K. Chemirani: Negar (2022)
P. Venables: The Faggots & Their Friends Between Revolutions (2023)
T. Picker: Lili Elbe (2023)

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Literaturhinweis:

Casta Diva - Der schwule Opernführer
Rainer Falk & Sven Limbeck
Querverlag, 2019

Gespielte Musik

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