Nicht eine, sondern gleich drei Carmen stehen am Anfang des Stücks auf der Bühne: Eine Opernsängerin, eine Tänzerin und ein Schauspieler spielen die ikonisch gewordene Protagonistin aus George Bizets gleichnamiger Oper.
Damit macht schon der erste Auftritt klar: Wu Tsang und ihrer Gruppe «Moved by Motion» geht es darum, verschiedene Facetten des Stoffes auf die Bühne zu bringen, um damit neue Sichtweisen freizulegen.
Schauspiel in Zeiten des Kulturkampfs
Neue Sichtweisen – die hat Wu Tsang in den letzten Jahren mit anderen bekannten Stücken wie «Moby Dick» oder «Pinocchio» bereits vorgeführt und dabei bemerkenswerte immersive Installationen geschaffen. Die US-amerikanische Performancekünstlerin und Filmemacherin war eine von acht Hausregisseurinnen und -regisseuren, die das Programm in Zürich geprägt haben.
«Carmen» war die letzte Premiere unter der Intendanz von Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg, die im Juni nach giftigen kulturpolitischen Debatten um Finanzen, Diversität und Wokeness frühzeitig endet.
Vieles haben sie angestossen, einiges erreicht, manches sind sie schuldig geblieben. So standen die unterschiedlichen Handschriften am Schauspielhaus bis zum Schluss weitgehend unverbunden nebeneinander und konnten keine über die einzelne Arbeit hinausgehende Kraft entwickeln.
Eine queer-feministische Kritik
Wu Tsangs letzte Arbeit in Zürich ist erstmal ein Versprechen: Eine Oper im Schauspielhaus. Eine spartenübergreifende Überschreibung des populären Stoffes. Eine queer-feministische Kritik an den traditionellen Lesarten.
Die Inszenierung folgt zwar den vier Akten von Bizets Oper, Wu Tsang hat sich aber von der Autorin Sophia Al-Maria eine Nebenhandlung schreiben lassen.
Pathetisch, aber eindrücklich
Eine junge Wissenschaftlerin an der Universität in Sevilla sucht nach einer Grabstätte aus der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs und dabei von ihrer Professorin aus Angst vor politischen Konsequenzen fallen gelassen wird.
Sie macht sich eigenständig auf die Suche und findet am Schluss in der verschollenen Revolutionärin eine Wiedergängerin der von ihrem eifersüchtigen Liebhaber ermordeten Carmen.
Das kommt szenisch zwar etwas pathetisch daher, aber die Aussage ist klar: Die Geschichte wiederholt sich immer wieder, ist über Genres, Sprachen und Zeiten hinweg verbunden und gerade starke, unabhängige Frauen zahlen dabei einen hohen Preis und oft mit ihrem Leben.
Wie progressiv geht es in die Zukunft?
Leider bleibt die Inszenierung bei diesen konzeptuellen Andeutungen stehen und das Bühnengeschehen wirkt über weite Strecken seltsam statisch. Und so übernimmt dann doch immer wieder die Musik den Lead – obwohl die Inszenierung doch über die tradierte Darstellung der Oper hinausgehen wollte.
Bei der Premiere am Wochenende war auffällig, wie divers das Theaterpublikum in den letzten Jahren geworden ist. Wu Tsangs Arbeit und Ästhetik dürfte dabei mitverantwortlich sein, dass sich zunehmend auch queere und nicht-weisse Communitys vom Programm angesprochen fühlen. Diese weiterhin offensiv anzusprechen, wird eine der wichtigen Aufgaben in der Zukunft sein.