Das Wichtigste in Kürze
- Das Festival von Avignon ist das Theatermekka von Frankreich. Alles was Rang und Namen hat, pilgert dorthin.
- 2017 eröffnet Avignon mit Antigone unter der Regie von Satoshi Miyagi.
- Miyagis Antigone überzeugt mit starken Bildern, doch bietet er keine neue Lesart des Stücks.
- 2017 gibt es im Festival d'Avignon mehr Regie führende Frauen denn je – wenn auch noch nicht gleich viele wie Männer.
Antigone – die junge Frau, die sich gegen die herrschende Macht stellt – ist ein Vorbild engagierter junger Rebellinnen und die Traumrolle jeder Schauspielschülerin: «Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da», lautet einer ihrer berühmten Sätze.
Satoshi Miyagi trennt Sprache und Körper
Sophokles schnitt in seinem Dramentext Meinung und Gegenmeinung hart aufeinander – weniger ein argumentativer Dialog, als ein unerschütterliches gegeneinander Anreden. Dabei belässt es der Regisseur Satoshi Miyagi dann auch in Avignon: Und er verstärkt es noch, indem er Sprache und Körper trennt, jede Figur wird von einem Sprecher und einem stummen Darsteller verkörpert.
Sie agieren nebeneinander auf der Bühne – in einem sehr stimmungsvollen Rahmen, muss man sagen: Vor der mächtigen Kulisse des mittelalterlichen Papstpalastes hat die Truppe eine Wasserfläche angelegt, darüber verteilt einzelne Felsblöcke wie in einem Zen-Garten.
Einem Mythos aus ferner Zeit beiwohnen
Das ist sehr schön anzusehen, im eindämmerden Abendlicht und unter dem hohen Provence-Himmel, an dem ein leuchtender Fastvollmond dem Theater Konkurrenz macht.
Die Figuren tragen weisse Kimonos, sie schweben quasi über dem Wasser und werfen ausdrucksvolle Schatten auf die Fassade, was zu einer sehr archaischen, fast ritualhaften Anmutung führt. Man hat das Gefühl, einem Mythos aus ferner alter Zeit beizuwohnen.
Inhaltlich wenig abitioniert
Und das ist denn auch das Problem des Abends: Satishi Miyagi setzt ganz auf die Form und erhebt nicht den inhaltlichen Anspruch einer eigenen Lesart, jedenfalls soweit man ihm als des Japanischen nicht mächtiger Europäer folgen kann.
Antigone ist die exemplarische Heldin, die für ihren Humanismus mit dem Einsatz des Lebens kämpft; aber sie ist eben auch eine unbeirrbare Dogmatikerin. Der heimliche Held der Tragödie ist ihr Gegenspieler Kreon – der Tyrann, der eine Entwicklung zum Humanismus durchlebt und dafür Lehrgeld bezahlt, weil alle seine Nächsten sich umbringen – davon zum Beispiel habe ich nichts gemerkt.
Perfektes Volkstheater?
Kreon gestikuliert wild, er grollt und brüllt mit bedrohlich gerollten Konsonanten – er wirkt eher wie ein böser Dämon.
Die Festival-Eröffnung mit der prominenten Premiere im Papstpalast zeigt sich also ästhetisch packend, aber inhaltlich wenig ambitioniert. Warum eröffnet Festival-Direktor Olivier Py mit dieser japanischen Produktion?
Er beteuert, dass das Theater von Satoshi Miyagi genau zu seiner Idee von einem poetischen Volkstheater passe, welches das Publikum in erster Linie verzaubert und sozusagen durch die Hintertür seine politische Wirksamkeit entfaltet. Die Verzauberung war da, doch das Engagement – gerade bei diesem eminent politischen Text – hat noch gefehlt.
Politische Botschaften von anderen
Vielleicht erweist es sich stärker in einem kleinen Schwerpunkt mit Produktionen aus Afrika. Darunter «Unwanted» von Dorothée Munyaneza, in dem die britische Tänzerin und Choreografin, die vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat Rwanda geflohen ist, die Vergewaltigung von Frauen und Kindern in Rwanda thematisiert.
Insgesamt gibt es im Festival d'Avignon mehr Regie führende Frauen denn je – wenn auch noch nicht gleich viele wie Männer. Ein bekannter Name darunter ist auch Katie Mitchell, die einen explizit feministischen Blick auf «Die Zofen» von Jean Genet werfen will.