Der Krieg in Nahost erfasst längst die Kultur: Jüngst ist der israelische Dirigent Lahav Shani am Flanders-Festival ausgeladen worden und 700 internationale Musikschaffende fordern die Klassikszene auf, Position zum Kriegstreiben in Gaza zu beziehen.
Doch nicht nur die Klassik ist betroffen: In der Filmbranche rufen jetzt über 4000 Filmschaffende weltweit im Rahmen der Initiative «Film Workers for Palestine» («Filmschaffende für Palästina») zum Boykott israelischer Institutionen auf – wegen deren «Beteiligung an Völkermord und Apartheid».
Trifft der Boykott die Richtigen?
Die Initiatoren benennen die absolute Dringlichkeit der Situation in Palästina und die Rolle ihrer Regierungen. Sie wollen nun alles tun, um sich «gegen die Mitschuld an diesem unerbittlichen Horror zu wehren.» Die israelische Filmindustrie nennt das «zutiefst beunruhigend».
Auch für Yves Kugelmann, Schweizer Filmproduzent und Kenner der israelischen Filmszene, trifft der Boykott auch die Falschen: «Grundsätzlich finde ich Sanktionen immer ein gutes Mittel, um auf eine Kriegssituation einzuwirken. Bei Kulturboykotten bin ich immer skeptisch.» Denn oft sei es gerade die Filmindustrie, die sich gegen Regierungs- oder Besatzungspolitik positioniere. Ein Boykott des israelischen Films würde daher eher der israelischen Regierung in die Hände spielen, die ja genau das wolle: die Filmindustrie reduzieren.
Tatsächlich versucht die rechtskonservative Regierung Israels seit Jahren die israelische Kulturszene und vor allem die Filmindustrie auf Parteilinie zu bringen. Doch der überwiegende Teil des israelischen Kinos setze sich standhaft für Frieden und gegen den Krieg ein, sagt Kugelmann. Als Beispiel nennt er den preisgekrönten Film «Waltz with Bashir» des israelischen Regisseurs Ari Folman von 2008: «Das ist ein Antikriegsfilm. Folman selbst ist ein Aktivist in der Frage der Besatzung oder gegen die Besatzung.»
Auf die Frage, ob es in Israel auch regierungstreue Filme gebe, sagt Kugelmann: «Wenn es überhaupt Propaganda-Filme gibt für die Regierung, dann sind die marginal, oder noch marginaler als in anderen Ländern. Das sind dann auch keine Filme, die international von sich reden machen.»
Filmfestivals betroffen
Ebenfalls vom Boykott betroffen sind die grossen Filmfestivals in Israel, wie etwa das «Jerusalem Filmfestival» oder das «Haifa International Filmfestival». In der Erklärung des Boykotts heisst es, diese würden weiterhin mit der Regierung zusammenarbeiten und öffentliche Gelder kriegen. Yves Kugelmann sagt dazu: «Es ist weltweit so, dass Festivals in Demokratien von Regierungs- oder öffentlichen Geldern leben müssen, sonst können sie gar nicht diese Plattformen errichten.» Auf das Festival von Haifa trifft das im Speziellen zu: «Würde das Festival nicht gefördert, würde es nicht stattfinden.»
Der symbolische Wert eines solchen Kulturboykotts ist unbestritten. Für Kugelmann macht der Boykott aber vor allem die grosse Ohnmacht deutlich, die weltweit angesichts der Lage in den Palästinensergebieten herrscht: «Ich verstehe die Ohnmacht von Menschen, die angesichts der Bilder etwas tun wollen», und ergänzt: «Aber Netanjahu stört das alles überhaupt nicht. Der wird sich wahrscheinlich freuen.»