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Neu im Kino «Eddington»: Der Wahnsinn der Pandemie – in einem «Covid-Western»

Der US-amerikanische Filmregisseur Ari Aster ist bekannt für Horrorfilme wie «Hereditary» und «Midsommar». Seinen neuen Film «Eddington» nennt er einen «Covid-Western». In diesem steckt der reale Horror der jüngsten Vergangenheit: Pandemiekrise, Vereinzelung, Verschwörung, Radikalisierung.

Mai 2020 in der fiktiven Kleinstadt «Eddington» in der kargen Landschaft New Mexicos. Alles beginnt relativ harmlos mit dem Streit um die Maskenpflicht, der zugleich ein Streit um Zuständigkeiten ist zwischen dem Sheriff der Gemeinde und den Polizisten des angrenzenden Stammesreservats.

Ausgerechnet der von Joaquin Phoenix gewohnt grossartig gespielte Orts-Sheriff Joe Cross will partout keine Maske aufsetzen. Schon nur, um dem hispanischen, liberalen Bürgermeister Ted Garcia – gespielt vom omnipräsenten Pedro Pascal – Contra zu bieten.

Unangenehme Szenen, die wir allzu gut kennen

Eine Szene berührt seltsam unangenehm: Joe will im Supermarkt ohne Maske einkaufen – und liefert sich mit dem Bürgermeister eine Diskussion über Ansteckungswahrscheinlichkeiten und Regulationen. Das haben wir sicherlich alle während der Pandemie in der einen oder anderen Form erlebt.

Zwei Männer diskutieren auf einer Stadtstrasse.
Legende: «Eddington»: Sheriff Joe (Joaquin Phoenix, links) geriert sich als Revolverheld – den Kontrahenten, Bürgermeister Ted (Pedro Pascal), fest im Visier. In einem echten «Covid-Western», wie Regisseur Ari Aster über sein Werk sagt. A24

Ari Aster aber dreht die Schraube weiter an: erst langsam, dann ziemlich wirr und krass. Er verpackt in seinen Film den ganzen Horror der jüngsten Vergangenheit der USA.

Sheriff Joe beschliesst, gegen Ted als Bürgermeisterkandidat anzutreten und verwandelt seine Polizeistation in ein Wahlkampfbüro, seine Deputies in Wahlkampfhelfer und sein Auto in ein fahrendes Werbemobil.

Crescendo von Hysterie und Wahnsinn

Derweilen verfallen Joes Frau Lou (Emma Stone) und seine Schwiegermutter (Deirdre O'Connell) immer mehr einem Guru (köstlich eklig gespielt von Austin Butler), der im Netz auf allen Kanälen eine Verschwörungstheorie nach der anderen verbreitet. Überhaupt wird ständig gescrollt, gepostet, gestreamt in diesem Film.

Als mitten in diese erste Phase der Pandemie mit dem Mord am Schwarzen George Floyd durch einen Polizisten auch noch die Black-Lives-Matter-Demonstrationen und Aufstände losgehen, steigert sich auch im bislang beschaulichen Eddington die Nervosität und Angst zu Hysterie und Wahnsinn. Bis aus der Pandemie ein Pandämonium wird.

Spass macht das nicht: Ari Aster verweigert dem Publikum die Befriedigung der Satire, löst nie die Beklemmung in befreiendes Lachen auf. Er bietet auch keine Sympathiefiguren. In dieser Spaltungsparabel und Vereinzelungsorgie kippen alle Seiten ab in fragwürdig ideologische Haltungen.

Aster entlarvt dabei nicht nur die Radikalisierung im rechten Lager, sondern auch die Heuchelei der linken weissen Kids, die bei einer Black-Lives-Matter-Demo den Schwarzen Hilfs-Sheriff in hysterischer Überheblichkeit zur Solidarität verpflichten wollen.

Bestandsaufnahme einer verirrten Gesellschaft

Aster bietet mit «Eddington» keine neuen Einsichten, keine Analysen, er nimmt auch keine eindeutige Haltung ein. Er macht nichts anderes, als den ganzen Horror der jüngsten Vergangenheit in – leicht zu langen zweieinhalb Stunden – zu verdichten und zu steigern. Der Film ist brachial zynisch, unangenehm, unaufgeräumt und ziemlich blutig. Und trotz alledem faszinierend anzuschauen.

Er ist nichts mehr und nichts weniger als die erschreckende Bestandsaufnahme einer verirrten Gesellschaft in den USA, die in der Pandemie falsch abgebogen ist, verzettelt und vereinzelt in alle Richtungen, aber nie in die richtige.

Kinostart: 18. Dezember 2025

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 17.12.2025, 17:20 Uhr

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