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Filmgeschäft in Männerhand Keine Traumfabrik: Die Filmbranche macht es Frauen schwer

Locarno hat es wieder gezeigt: Filme von Frauen sind auf Festivals untervertreten. Woran liegt's – und welche Lösungen taugen?

Dem Filmfestival von Cannes wurde es vorgeworfen, demjenigen von Venedig ebenso. Und nun bekam es auch das Internationale Filmfestival von Locarno zu hören: In den wichtigen Sektionen werden zu wenig Filme von Frauen gezeigt.

Anders sieht es aus, wenn man auf die Geschlechterverteilung der Locarno-Besucherinnen und -Besucher blickt: Der Anteil von Zuschauerinnen liegt bei 60 Prozent, hat eine Erhebung von 2018 ergeben. Im Programm jedoch herrscht Frauenmangel. Wer sich die beiden wichtigen Sektionen des diesjährigen Festivals anschaute, musste nach Frauen suchen: Auf der Piazza Grande wurden 16 Filme gezeigt – nur zwei davon von Regisseurinnen. In der Sektion «Internationaler Wettbewerb» waren von 17 Filmen nur bei dreien Regisseurinnen am Werk gewesen.

Zwei Frauen sitzen in einem fahrenden Auto und unterhalten sich.
Legende: Aus Frauenhand: Regisseurin Aurélie Saada präsentierte ihren Film «Rose» auf der Piazza Grande – als eine von zwei Filmemacherin. Locarno Film Festival

Nur 30 Prozent der Filme stammen von Frauen

Der Einwand von Festivaldirektor Giona A. Nazzaro, alle Sektionen seines Festivals seien wichtig, ehrt ihn als umsichtigen künstlerischen Direktor, der alle seine Filme gleich lieben möchte. Zudem argumentierte Nazzaro, dass knapp 30 Prozent aller Filme von Frauen stammen. Da der Anteil der Einreichung von Frauen ebenfalls bei ungefähr 30 Prozent liege, sei das Festival gar nicht so arg dran.

Die 30-Prozent-Marke erreichte das Festival jedoch ausschliesslich durch den hohen Frauenanteil in der Sektion «Concorso Cineasti del presente», in der die ersten und zweiten Langspielfilme von vorwiegend jungen Filmemacherinnen und Filmemachern gezeigt werden. Hier gingen sogar über 50 Prozent der Filme auf das Konto von Regisseurinnen.

Hoher Frauenanteil also nur in Nebensektionen? Kein Argument für Direktor Nazarro. Er betonte, alle Sektionen seines Festivals seien wichtig.

Dennoch: Die Piazza Grande hat als das grösste Open-Air-Kino der Schweiz Kapazitäten für 8000 Zuschauerinnen und Zuschauer. Sponsoren beteiligen sich an der kostspieligen Infrastruktur, in der viel Geld steckt und die viel Aufmerksamkeit bekommt. Auch den Filmen des «Internationalen Wettbewerbs» werden durch ein breites Medienecho eine grössere Sichtbarkeit zuteil als den Filmen des «Concorso Cineasti del Presente».

Seine Absicht sei es nicht gewesen, Frauen auszuschliessen, beteuert Nazzaro im Interview. Stattdessen schiebt er die Verantwortung der Filmindustrie zu: Er spekuliert, dass Produzenten Filmanfängern beider Geschlechter zwar den ersten und zweiten Film finanzieren – beim dritten Film die Frauen aber in der Regel aufhören würden.

Ungleichgewicht in der Schweizer Filmbranche

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine neue Studie , die das Bundesamt für Kultur (BAK) jüngst in Auftrag gab und die letzte Woche in Locarno vorgestellt wurde. Jela Skerlak, wissenschaftliche Mitarbeiterin für Diversity des BAK, erläutert dazu: Trotz Ausgewogenheit in der Ausbildung existierten ungleiche Geschlechterverhältnisse in der Schweizer Filmbranche.

Tatsächlich sei es aber so, dass es für beide Geschlechter äusserst schwierig sei, in der Filmbranche Fuss zu fassen. Einen ersten Langspielfilm zu realisieren, gelänge gerade einmal 60 Prozent der Studierenden mit Abschluss. Der zweite sei für Frauen bereits schwieriger zu realisieren als für Männer. Es bis zum fünften Film zu schaffen – für Frauen eine beinahe unüberwindbare Hürde.

Schlüsselpositionen wie Regie, Produktion und Drehbuch, so zeigt die Studie, liegen bei unter 40 Prozent. Kameras werden nur in 13 Prozent der Fälle von Frauen bedient, während weibliche Editoren mit 53 Prozent überwiegen. Letzteres, weil die Arbeit im Schnitt planbarer und damit am ehesten mit der Familie vereinbar sei, so Skerlak.

Kopfportrait einer Frau die lächelnd in die Kamera schaut, das Kinn in der Hand gestützt.
Legende: Regisseurin und Drehbuchautorin Esen Isik aus Zürich ist im Schweizer Filmbusiness fest verankert. Mit ihrem Film «Köpek» gewann sie 2016 den Schweizer Filmpreis. SRF / Julian Salinas

Quotenregelung nicht denkbar

Gründe sind wie oft Vereinbarkeit mit dem Familienleben, der Kinderbetreuung – aber auch ein fehlendes Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Entsprechend empfehlen die Studienautorinnen und -autoren die Einhaltung der Arbeitsbedingungen, die Kostenübernahme familienfreundlicher Dreharbeiten und individuelle Fördermittel für den Wiedereinstieg nach familienbedingter Auszeit.

Eine Quote wird in der Studie nicht empfohlen. Das sei, so Skerlak, im schweizerischen Umfeld politisch nicht denkbar. Sie ist davon überzeugt, dass es keine Quotenregelung brauchen wird, wenn sich Verantwortliche in Führungspositionen, bei der Filmförderung, bei den Produzentinnen und Produzenten, aber auch bei den Festivals, für Diversität einsetzen.

Solari sieht kein Problem

Marco Solari, Präsident des Festivals, sieht kein Problem darin, dass er die junge Festivaldirektorin Lili Hinstin neu durch einen Mann ersetzt hat. Dass auch der Geschäftsführer des Festivals ein Mann ist und die jüngst neu geschaffene Professur, die das Festival gemeinsam mit der Universität Lugano ins Leben gerufen hat, mit einem Mann besetzt wurde, sei einzig der Qualifikationen der jeweiligen Bewerbungen geschuldet, sagt er.

Eine Frau und ein Mann sind im Gespräch und laufen vor einer Wand mit bedrucktem Filmfestival-Locarno-Logos.
Legende: Die Qualifikation ist bei Stellenbesetzungen zentral, meint Festivalpräsident Marco Solari (hier mit der polnischen Schauspielerin Kasia Smutniak auf der Piazza Grande). KEYSTONE / URS FLUEELER

«Als wir vor drei Jahren die künstlerische Direktion ausgeschrieben haben, hatten wir zwei Kandidierende, die gleich gut waren. Und der Verwaltungsrat und ich haben uns für die Frau entschieden.» Der Zweite, so Solari, der damals – zugunsten einer Frau – den Kürzeren zog, war Giona A. Nazzaro. Für Solari ist es daher nur konsequent, dass nun Nazzaro berufen wurde.

So stehen vor allem Männer an der Spitze und im Rampenlicht des Festivals. Da hilft es wenig, dass die Vizepositionen von Frauen bekleidet werden. Der Verwaltungsrat, so Solari, könne auf eine immer stärkere weibliche Beteiligung hoffen. Momentan finden sich unter den 26 Mitgliedern sechs Frauen.

Anstrengungen für mehr Chancengleichheit

Das seien immerhin 24 Prozent, jubiliert Gabriel Baur vom Swiss Women’s Audiovisual Network (SWAN). Natürlich wünscht auch sie sich mehr Parität und hält daran fest, dass Frauen im Idealfall immer zur Hälfte vertreten sein müssten. Aber die Regisseurin ist auch realistisch.

Zwei Frauen sitzen an einem runden Tisch in einem Garten.
Legende: Machen sich stark für die Gleichstellung der Geschlechter im Filmgeschäft: die Präsidentinnen von SWAN Stéphane Mitchell (links) und Gabriel Baur. SRF / Screenshot

Ihre Kollegin Stéphane Mitchell pflichtet bei: Eine Frauenquote hält sie nicht für zielführend. Die Anstrengungen, Frauen in der Filmbranche Chancengleichheit zu gewähren, fänden auf vielen Ebenen statt. Und das meist ohne eine unter Druck setzende Frauenquote.

SWAN

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Ein Mann unterschreibt ein Dokument. Links und rechts von ihm sitzen zwei Frauen.
Legende: Auf Initiative von SWAN wurde 2018 in Locarno die Charta für Gleichstellung und Diversität unterschrieben. Film Festival Locarno

SWAN – Schweizerisches Netzwerk der Frauen im audiovisuellen Bereich ist ein gemeinnütziger Verein, der sich für die Gleichstellung der Geschlechter und die Vielfalt in der audiovisuellen Industrie der Schweiz einsetzt.

2018 gegründet, zählt der Verein eine wachsende Zahl von Mitgliedern und versammelt wichtige Akteurinnen und Akteure der Schweizer Filmindustrie.

SWAN ist eine Partnerorganisation von WIFTI (Women in Film and TV International) und Mitglied von EWA (European Women's Audiovisual Network) und Alliance-F.

SWAN lud in Locarno zum fünften Mal Unterstützerinnen und Unterstützer zum Brunch ein. Auch Giona A. Nazzaro stellte sich vor Ort den Fragen der SWAN-Mitglieder. Einmal mehr beschwor der künstlerische Leiter, dass es keine ideologische Entscheidung sei, so wenig Frauen in den sichtbaren Sektionen zu zeigen. Schliesslich habe er die Produzentin Gale Anne Hurd eingeladen, von der Filme wie «Terminator», «Alien» oder auch «Amaggedon» stammen.

Eine Frau, weiss gekleidet, hält eine goldene Leopard-Statuette in den Händen und lächelt in die Kamera.
Legende: Frauen, die wie Produzentin Gale Anne Hurd hinter der Kamera Erfolge feiern können, sind noch immer die Ausnahme. Keystone / URS FLUEELER

Zudem rief er die anwesenden Frauen auf, Mut zu beweisen und immer weiter Filme zu drehen. Er selbst, so Nazzaro, sei in keinem Männernetzwerk oder Kumpelverein.

Keine Geschäfte auf dem Golfplatz

Rebekah Jorgensen, Gast am SWAN-Anlass und Produzentin und Regisseurin aus Los Angeles und Genf, will das so nicht gelten lassen. Gale Anne Hurd sei eine grossartige Produzentin, gehöre aber zu den absoluten Ausnahmen. Den Frauen fehle es weder an Mut noch an Willen, Frauen würden systematisch aus dem Geschäft gedrängt. «Ich fordere gleiche Bezahlung für Frauen, gleiche Behandlung und keine Geschäfte, die auf Tennis- oder Golfplätzen vereinbart werden», skandiert Jorgensen und wird mit tosendem Applaus belohnt.

Tatsächlich identifiziert auch die Studie vom BAK ein «Buddy-System», zu dem Frauen häufig keinen Zugang finden. Zur Auflösung von solchen strukturellen Hindernissen empfiehlt die Studie beispielsweise Anreize durch die Filmförderung für geschlechterausgewogene Teams und Coaching beim Übergang vom Studium in den Beruf.

In Österreich wurde der Vorschlag bereits umgesetzt: Wer geschlechtliche Ausgeglichenheit in den Filmcrews anstrebt, wird finanziell belohnt. Die Studie weist ebenfalls nach, dass Regisseurinnen mehr Frauen in ihren Teams engagieren als Regisseure.

Gerechtere Filmförderung dank Anonymisierung

Eine andere Idee, um sich vor der Voreingenommenheit gegenüber Frauen oder auch Männern zu schützen, hat sich das Story Lab von Migros-Kulturprozent ausgedacht. Bei Eingaben für Fördergelder von Stoffentwicklungen für Kinofilme oder andere audiovisuelle narrative Formate wurde dieses Jahr erstmals auf die Nennung von Namen und Geschlechterzugehörigkeiten verzichtet.

Migros-Kulturprozent Story Lab

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Screenshot der Webseite von Story Lab.
Legende: Getty Images / Maeching Maeching / EyeEm / Bildmontage SRF

Das Migros-Kulturprozent Story Lab versteht sich als «ein Laboratorium für alle audiovisuellen narrativen Formate»: von Kinofilm bis Serie, von Virtual Reality bis Games.

Der Förderfokus liegt auf dem Weg zur Verwirklichung einer Idee. Das heisst, dass Projekte bereits während der Stoffentwicklung durch finanzielle Unterstützung, Coaching und Networking begleitet werden.

Durch diese Anonymisierung soll gewährleistet werden, dass die Mitglieder der Auswahlkommission neutral entscheiden können. Nadine Adler Spiegel, Leiterin des Story Lab, ist glücklich, dass sie dieses Experiment gewagt hat. Nun, Anfang August, lässt sich eine erste Zwischenbilanz ziehen: «Das Mittel der Anonymisierung hat sich beeindruckend gut bewährt. Die ausgewählten Projekte weisen eine Ausgewogenheit in Sachen Gender, Background, Herkunft und Landesteilen auf.»

So kann Nadine Adler Spiegel zum ersten Mal beinahe gleich viele Frauen wie Männer in der Stoffentwicklung unterstützen. Von 224 Gesuchen hat eine sechsköpfige Jury 13 Projekte ausgewählt, davon sind sieben von Frauen, sechs von Männern.

Die Erfahrung mit der Anonymisierung habe vor allem gezeigt, dass es für die Kommission eine Erleichterung ist, sich während des Auswahlverfahrens auf den Stoff konzentrieren zu können und keine zusätzliche Debatte um Quoten führen zu müssen, so Nadine Adler Spiegel. Sicher müssten die Daten über die nächsten Jahre weiter eruiert werden. Für eine «reine» Ideenförderung scheint es ihr jedoch der richtige Weg zu sein, sagt sie.

Frauen erhalten mehr Festivalpreise

Vielleicht wäre das auch eine Idee für die Programmierung von Filmfestivals: die Auswahl der Filme treffen, ohne zu wissen, wer sie gemacht hat. Giona A. Nazzaro findet das ein wenig naiv, in einer Welt, in der alles öffentlich ist.

Ein Mann mit kurzen grauen Haaren und schwarzer Brille.
Legende: Es braucht Antworten auf die ungleichmässige Geschlechterverteilung in der Filmbranche, meint auch Festivalleiter Giona A. Nazzaro. Keystone / URS FLUEELER

Trotzdem schaue er Filme gern mit wenig Vorabinformationen: Der Film selbst sei ihm wichtig, nicht unbedingt, wer ihn gemacht habe. «Ich nehme das wirklich ernst und denke, dass man dieser systemischen Ungerechtigkeit auch Antworten geben muss. Aber», so Nazzaro weiter, «wir sind nicht das System, wir sind das Filmfestival Locarno, das die Werke anderer vorstellt.»

Dem künstlerischen Direktor sei empfohlen, unbedingt noch einmal einen Blick in die Studie vom BAK zu werfen: Dort ist nämlich auch zu lesen, dass zwar deutlich weniger Filme von Frauen auf Festivals eingeladen werden, ironischerweise aber mehr Frauen als Männer Festivalpreise einheimsen. Eine Schelmin, wer da Böses denkt …

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 13.08.2021, 9:03 Uhr

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