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Beisetzung von Alexej Nawalny Lektion für Putin? Warum Machthaber Trauerfeiern fürchten

Das Putin-Regime reagiert mit grosser Nervosität auf das Begräbnis des Kremlkritikers Alexej Nawalny – mit gutem Grund: Situationen der Trauer bergen immer wieder den Keim zu Protesten.

Grossaufgebot der Polizei, Absperrgitter, Personenkontrollen. Der Kreml erliess für die Beisetzung des bekannten Kremlgegners Alexej Nawalny in Moskau strengste Sicherheitsvorkehrungen. Schon im Vorfeld der Beerdigung hatte die Polizei russlandweit Hunderte Menschen festgenommen, die Sympathien für den prominenten Oppositionellen zeigten.

Die behördliche Nervosität kommt nicht von ungefähr, besteht doch die Gefahr, dass sich in der emotional aufgeladenen Situation der Trauer die Wut auf die Obrigkeit Bahn bricht. Vor allem, wenn diese Obrigkeit – wie im Fall Nawalny – im Verdacht steht, den Tod zumindest mitverursacht zu haben.

Trauer als Protest

Anschauungsunterricht bietet der Iran. Erst eineinhalb Jahre ist es her, dass nach dem gewaltsamen Tod der 22-jährigen Mahsa Amini in einem Teheraner Polizeigefängnis landesweit massive Proteste gegen das diktatorische System ausbrachen.

Die Trauer um die junge Frau, die wegen angeblich «unislamischer Kleidung» im Polizeigewahrsam landete, geriet zum revolutionären Akt: Er äusserte sich darin, dass viele Iranerinnen öffentlich die Kopftücher ablegten und sich die Haare abschnitten. Das Regime reagierte mit Einschüchterung und Verhaftungen. Hunderte kamen ums Leben.

Situationen der Trauer bergen immer wieder den Keim zum Massenprotest. So auch in den USA, wo im Mai 2020 ein weisser Polizeibeamter den Afroamerikaners George Floyd tötete. Die rassistische Tat befeuerte die «Black Lives Matter»-Bewegung.

Ein anderes Beispiel: 1967 erschoss ein Polizist bei einer Demonstration in West-Berlin aus nächster Nähe den Studenten Benno Ohnesorg. In der Folge flammte der Protest der Studentenbewegung gegen den westdeutschen Staat erst recht auf – und weitete sich auf das ganze Land aus.

Der gefährliche tote Dichter

Auch Russland selbst hat in seiner Geschichte die Erfahrung gemacht, dass Trauersituationen dem Establishment gefährlich werden können. Etwa im Jahr 1837, als der schon zu Lebzeiten verehrte Dichter Alexander Puschkin in einem Duell mit einem Adligen ums Leben kann.

Menschen legen Blumen am Grab von Alexander Puschkin ab.
Legende: Noch heute wird der russische Dichter Alexander Puschkin von grossen Teilen der Bevölkerung verehrt. Die Umstände seines Todes brachten den damaligen Zaren in Verlegenheit. Imago/SNA

Der Schock in der Öffentlichkeit über den Tod des grossen Poeten war gross. Weit herum kursierte die Vermutung, der Zarenhof trage zumindest eine Mitschuld.

Der Zar bekam es mit der Angst zu tun. Er befürchtete Unruhen und ordnete an, dass der Sarg mit Puschkin bei dunkler Nacht heimlich aus der damaligen russischen Hauptstadt Sankt Petersburg weggebracht werden müsse. Er wurde Hunderte von Kilometern entfernt beigesetzt.

Missbrauchte Trauer

Manchmal gelang es dem russischen Regime aber auch, Trauersituationen für die eigenen Zwecke zu missbrauchen. So geschehen 1934 nach dem Mord an Sergej Kirow. Kirow war ein hoher Funktionär der kommunistischen Partei in der Sowjetunion zur Zeit von Diktator Josef Stalin.

Schwarz-weiss Bild von Männern in Mänterln, die einen Sarg tragen. Über ihnen an einem Gebäude ein Bild des Gestorbenen.
Legende: Inszeniert und instrumentalisiert: Das Begräbnis von Stalins Parteigenossen Sergej Kirow nutzt der Diktator zur Imagewerbung für sich selbst. Imago / Album

Die genauen Umstände des Mordes sind bis heute umstritten. Sicher ist jedoch, dass Stalin die Propaganda anwies, die öffentliche Trauer um Kirow möglichst zu befeuern. In der aufgeheizten Stimmung stellte Stalin die Behauptung auf, die Sowjetunion sei von Verrätern unterwandert. Er initiierte den «Grossen Terror», mit dem der Diktator seine Macht absicherte – und dem Millionen zum Opfer fielen.

Der heutige Kreml ist weit entfernt davon, die Trauer um Alexej Nawalny für sich selbst nutzbar machen zu können. Und so bleiben ihm – zum eigenen Machterhalt – nur die Mittel der Repression.

Radio SRF 4 News, 01.03.2024, 9 Uhr.

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