Es begab sich zu der Zeit, als ich noch jung war. Ende der 1980er-Jahre. In der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, gab es damals zwei bis drei Kneipen für jüngeres Publikum, die auch an den Weihnachtsfeiertagen geöffnet hatten. Beliebt waren vor allem die spätabendlichen After-Christmas-Parties an Heiligabend, auf die man sich retten konnte, wie auf ein Eiland in weiter, lamettawogender See.
Denn, auch für Menschen, die sich für jung und aufmüpfig hielten, galt damals noch ein striktes Feiergebot: Du sollst Weihnachten im Kreise der Familie verbringen. Also mit Mutter und Vater. Geschwistern, sofern vorhanden. Vielleicht gab’s auch noch eine Oma oder einen Onkel, der im familiären Normalbetrieb keine grosse Rolle spielte. Aber Weihnachten galt unbedingt als Familienfest. Man musste alle Verwandten lieben. Auch jene, die man kaum kannte.
Nicht nur die Familienstrukturen sind bunter geworden – Stichwort «Patchwork» – sondern auch die Ansprüche an ein gelungenes Weihnachtsfest.
Weihnachten bedeutete ausserdem: Es gab eines der traditionellen Weihnachtsmenüs. Das war alternativlos. Davor und danach Plätzchen. Alkoholische Getränke. Drumherum ein Weihnachtsbaum oder mindestens einige geschmückte Tannenzweige. In vielen Familien gehörte auch der Gang in die Kirche dazu – auch für die Ungläubigen! Ausserdem: festliche Kleidung, also gebügelte Kragen, geputzte Schuhe. Ich erinnere mich an Schulfreunde, bei denen an Heiligabend Krawattenzwang herrschte.
Weihnachtsfähige Spaghetti
Die strengen Vorgaben, wie Weihnachten auszusehen hat, haben sich in den letzten Jahrzehnten gelockert. Sicher gibt’s immer noch traditionsbewusste Familien, die an Heiligabend mit glänzenden Schuhen und Augen vor dem Tannenbaum mit Echtwachskerzen stehen, «Stille Nacht» singen und dabei den Duft von Zimt und Nelken in der Nase haben. Doch nicht nur die Familienstrukturen sind bunter geworden – Stichwort Patchwork – sondern auch die Ansprüche an ein gelungenes Weihnachtsfest.
Auch die Jeans, die man bereits morgens beim Arbeiten oder Einkaufen getragen hat, wird nicht als anti-weihnachtliches Zeichen gedeutet.
Planted Duck oder veganes Fondue, glutenfreie Guetzli, zuckerreduzierte Schokolade und Punsch ohne Alkohol sind auf vielen Festtagstafeln normal. Nicht alles muss selbst zubereitet werden. Und auch Spaghetti mit Tomatensauce sind durchaus weihnachtsfähig. Früher wurde viel darüber geredet, dass Weihnachten ein Fest für Kinder sei. Heute bestimmen die Kids oft selbstbewusst das Weihnachtsmenu.
Auch der Dresscode hat sich in vielen Haushalten gelockert. Lustige (manche würden auch sagen alberne) X-Mas-Pullis haben bei vielen Feiernden die gebügelten Kragen abgelöst. Und auch die Jeans, die man bereits morgens beim Arbeiten oder Einkaufen getragen hat, wird nicht als anti-weihnachtliches Zeichen gedeutet.
Mehr Lust als Pflicht
In letzter Zeit hört man immer häufiger von Paaren, die über die Festtage verreisen – früher für viele ein absolutes No-Go. Weihnachten ist vielfältiger geworden und damit auch lockerer. Traditionelles Weihnachten mit Kerzen und Keksen auf Festtagsgeschirr lebt als dekorative Idee in Werbeanzeigen und Postkartenmotiven weiter.
An den Weihnachtstagen selbst ist die Freiheit, zu feiern, wie man will, enorm gewachsen. Eine Befreiung. Mehr Lust als Pflicht. Klar kann man ein traditionelles Weihnachtsmenu kochen, braten, backen und essen – wenn man’s mag. Aber man muss nicht. Man muss auch nicht mehr warten, bis die Erwachsenen, müde von Braten und Gebäck, ins Bett gegangen sind, um sich in der Beiz seines Vertrauens mit Ähnlichdenkenden zu treffen.