Erfunden hatten das Testament die alten Römer. Aber die Kirche war es, die es im Spätmittelalter über die Alpen brachte.
Die Gründe waren profan, wie der Zürcher Erbrechtsexperte Peter Breitschmid weiss. Es ging ums Geld: «Die Kirche wollte sicherstellen, dass Geistliche ihr Vermögen der Kirche vermachen konnten, deshalb brauchte sie das neue Rechtsmittel.»
Ein netter Nachlass für die Kirche
Im Spätmittelalter war die Kirche ein Machtfaktor und der Besitz vieler Klöster und Geistlicher beträchtlich. Gleichzeitig waren Kleriker zum Zölibat verpflichtet, hatten offiziell keine Ehepartner oder Kinder.
Nach dem Tod wären ihre Vermögen an Geschwister oder andere Verwandte gegangen und für die Kirche verloren gewesen. «Die Kirche wollte es möglich machen, dass der Nachlass einer Person nicht automatisch an deren Familienmitglieder ging, sondern der Kirche vermacht werden konnte», erläutert Erbrechtsexperte Breitschmid. «So gesehen war die Kirche die erste Erbschleicherin.»
Das alte Prinzip: Gut fliesst wie Blut
Die neue Regelung kam bei den Leuten in den nordalpinen Talschaften schlecht an. Denn dort gab es bereits ein Erbrecht – wenn es auch nur ein bäuerliches Gewohnheitsrecht war, das nirgends geschrieben stand. Es folgte einem einfachen Prinzip, wie Peter Breitschmid erklärt: «Gut fliesst wie Blut.»
Der Besitz, der Grund und Boden, Gebäude und Vieh, sollten unbedingt im Besitz der Familie beziehungsweise des Clans bleiben. «Die Vorstellung, dass man seinen Besitz jemandem ausserhalb der Familie vermachen könnte, schien völlig abwegig.»
Kein Familienvermögen für «fremde Fötzel»
Im nordalpinen Raum dauerte es Jahrhunderte, bis Testamente auch von der weltlichen Obrigkeit akzeptiert wurden. Man blieb lange skeptisch, wie der Erbrechtsexperte anhand eines Beispiels erläutert: «Die Stadt Zürich verabschiedete 1716 ein Erbrecht, welches das Testament anerkannte, sofern dieses dem Rat zur Genehmigung vorgelegt worden war.»
Der treibende Gedanke dahinter war die Kontrolle. «Der Besitz einer Person sollte nicht an irgendeinen fremden Fötzel gehen – zum Schaden der Familie.» Gleichzeitig, ergänzt Peter Breitschmid, habe man kontrollieren wollen, dass nicht zu viel Geld der Kirche vermacht wurde: «Ein antikatholisches Element war durchaus vorhanden.»
Die individuelle Freiheit wird wichtiger
Auch wenn sich das Testament ab dem 18. Jahrhundert etablierte, der Grundsatz «Gut fliesst wie Blut» behielt Gültigkeit: «Auch im modernen Erbrecht haben Kinder Anspruch auf einen Teil des Nachlasses ihrer Eltern. Aber der Anteil wird kleiner.»
Stärker gewichtet wird dagegen die individuelle Freiheit. Eine Person soll freier entscheiden können, wem sie was hinterlässt. Die Familie sei nicht mehr das Mass aller Dinge, formuliert es Erbrechtsexperte Breitschmid.
Trotzdem hätten Testamente auch heute oft einen schweren Stand, sie würden von Angehörigen angezweifelt oder angefochten: «Das Gefühl, man habe als Sohn oder Tochter Anrecht auf den Besitz der Eltern, ist sehr stark. Auch wenn überhaupt keine Beziehung mehr da war. Beim Besitz ist Blut wieder dicker als Wasser.»