Bedenkt man es recht, gibt es für den Menschen, diesen Sommer der Schöpfung, nur eine wahre Heimstatt: Es ist die Hütte. Nicht das nomadische Zelt, nicht das steinerne Haus, nein, allein die Hütte aus Holz wird unserer Daseinsweise wirklich gerecht. Sanft eingelassen in den Mutterwald, ruht sie, leicht erhöht mit freiem Blick auf das Lebenselement schlechthin: das süsse Wasser eines klaren Sees.
Die Birken flimmern im lauen Wind. Auf den schmalen Wellen tanzen die Seegeister ihr ewig anderes Sonnenballett. Zeit wird so zu Gelassenheit. Sorge zu froher Tatenlust. Der Hecht, er sticht zur Mittagssonne. Beeren in tiefem Blau und prallen Rot laden zur Sammlung ein. Die Hummeln brummen fröhlich ihr Lied. Pilze locken auf neue, nie beschrittene Lichtungen. Da! Und da! Einzigartige Wunderwesen, ein jeder von ihnen.
Niemals fertig oder gar vollendet
Vor allem aber ist eine Hütte, es liegt in ihrem Wesen, niemals fertig oder gar vollendet. Sie bleibt Entwurf und also Projekt. Zu jedem wachen Zeitpunkt gibt es an ihr etwas zu hämmern und zu streichen, zu fegen und zu frickeln, zu sägen und zu dichten. Ein Bau aus Holz bleibt lebendiger Prozess. Wo er nicht reift, verfällt er. Gerade dort, wo er am hellsten strahlt, lauert das Vergilben. Wo er trägt, droht das Morsche. Wo er schützt und wärmt, das schimmelnde Leck.
Mit anderen Worten: Kein Dach trägt ewig! Wer auf Hütten lebt, weiss das. Und wünscht nicht einen Tag, dass es anders sei. Sonderlich nicht im Gewitter, diesem unbestrittenen König aller sommerlichen Erfahrung: Denn nirgendwo ist unsere Geworfenheit ins Sein deutlicher zu erspüren als in der scheinbaren Geborgenheit dieser Stürme. Nirgendwann wirkt das Heimelige der Hütte unheimlicher. So sah und beschrieb es nicht zuletzt Martin Heidegger, der Hüttendenker par excellence.
Glück des Alltäglichen
Wie sich überhaupt fragen liesse, was die Philosophie unserer Zeit ohne den Denkort der Hütte wäre. Es war eine Hütte, auf der Ludwig Wittgenstein seinen Tractatus ersann und das Schweigen vor dem Sagen pries. Es war eine Hütte, in der David Henry Thoreau stellvertretend für uns alle das Glück des Alltäglichen entdeckte. Eine Hütte schliesslich, von der aus Jean-Jacques Rousseau den Pfad zurück zu unserer wahren Natur bahnte: der Freiheit unter gleichen.
Schon wahr: Überall sonst mag der Mensch in selbst angelegten Ketten leben. Auf der Hütte nicht! Noch der störrischste Dackel darf hier frei und ohne Zwang seinen Weg suchen. Wen sollte er dabei schon stören, wen verfehlen: ausser sich selbst?
So geht es also dahin, unser Hüttendasein, einen glühenden Nordsommer lang.
Friede den Hütten
Noch zu Mitternacht leuchten die Wolken magisch am Himmel. Die Dunkelheit, sie erfährt sich ein weiteres Mal vertagt. Nein, noch wird es hier nicht Nacht. Noch ist die Sonne ein Morgenstern.
Ein letzter, labender Gang in den See. Kühl und frisch. Schwimmen. Atmen. Kreise ziehen in die Stille. Wir sitzen auf der Veranda. Auf der Schwelle. Schweigen, staunen. Dämmern dankbar in einen neuen Aufgang hinein. Friede den Hütten. Und all ihren Wesen.