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Lob des Sommers Sanfter Schlummer ist der beste Schlaf

Die Sommerhitze raubt uns nachts den Schlaf. Selig, wer tagsüber im Schatten der Bäume wegdösen kann, schreibt Barbara Bleisch – im fünften Teil unserer Sommerserie.

Wenn tagsüber die Sommerhitze die Zimmer flutet, ist es schwer, nachts Schlaf zu finden: Das Laken klebt, die Kehle ist trocken, die Mücken surren. Umso seliger, wer tagsüber wegdämmern kann, auf einer Decke im Schatten, noch knapp in der Lage, das Buch zur Seite zu legen.

Barbara Bleisch

Barbara Bleisch

Moderatorin und Philosophin

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Barbara Bleisch ist Philosophin und moderiert die «Sternstunde Philosophie». Daneben schreibt sie Bücher und unterrichtet Ethik.

Die eben noch gelesenen Sätze verdichten sich zur Rahmenhandlung des Theaters, das Traumgestalten aus dem Unterbewussten zum Besten geben. Und irgendwann erwacht man wieder aus dem Dämmerzustand, weil ein Rinnsal von Schweiss oder ein Käfer auf nackter Haut kitzeln.

Schutzloser als im Schlaf sind wir nie

Das Lob des Schlafes stimmen Philosophen selten an. Dass der vernunftbegabte, selbstbeherrschte Mensch eines Zustands bedarf, in dem er sich ganz hin- und aufgibt, scheint mehr Beleidigung, denn Anlass zu Beifall.

Nicht selten ist der Schlaf eine Gefahr: Während wir wehrlos in den Armen von Hypnos schlummern – dem Zwilling des Todes Thanatos – werden wir in den Romanen der Weltliteratur hinterrücks bestohlen, betrogen, gemeuchelt.

Lob des Sommers

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Es ist Sommer. Sommer kann so vieles sein. Was bedeutet er für Philosophen? Im Juli und August blicken wir auf sommerliche Themen, aus philosophischer Perspektive.

Verletzlicher und schutzloser als im Schlaf sind wir nie. Kein Wunder, wählt der grosse Aufklärer Immanuel Kant für den Zustand des Unwissens und des naiven Glaubens die Metapher des Schlafes: Der Weckruf der Vernunft soll uns aus dem «metaphysischen Schlummer» reissen, auf dass wir verstehen und unser Leben selber in die Hand nehmen. Den Schlaf als «Betäubung der Sinne» gilt es dagegen, so Kant, aufs Notwendigste zu beschränken.

Träumen wie Rousseau

Dabei ist gerade der Tagschlaf keine Betäubung der Sinne, sondern ein Eintauchen in Sinnlichkeit schlechthin: Die Geräusche der Welt werden zur Hintergrundkulisse des Traums, das Lichtspiel der einfallenden Sonne macht die Farben surreal üppig. Wer sich mitten im Tag der Schlaftrunkenheit hingibt, gelangt in Sphären einer Wirklichkeit, deren Ränder mit dem Traum verschwimmen.

Es ist jene verschwommene Klarheit, jene schwebende Ruhe, die Jean-Jacques Rousseau in seinen «Träumereien des einsamen Spaziergängers» (1776-1778) beschrieb. Rousseau treibt schlaftrunken in einer Barke auf dem Bielersee und erlebt die Schönheit der Natur in einer Intensität, wie er sie nie zuvor gesehen hat.

Batterien aufladen? Bloss nicht!

Gerade die Passivität macht diesen Zustand möglich. Wer meint, mit dem viel gelobten «Power Nap» in den kreativen Halbschlaf abdriften zu können, der irrt. Denn der Schlüssel zum ertragreichen Dämmerzustand ist die Selbstvergessenheit, schreibt der französische Philosoph Jean-Luc Nancy in seinem Essay «Vom Schlaf» (2013).

Wer seine Batterien im kurzen Energieschlaf wieder aufladen will, vergisst weder sich, noch die Welt, sondern er macht sich zur willigen Gerätschaft: Vom Energiestrom abhängig, trachtet er nach voller Einsatzkraft.

Sommerlich selbstvergessen

Doch den alternativen Modus der «Selbstabwesenheit» erreicht der Schlafende nur, wenn er nichts mehr will, schreibt Nancy. Und gerade darin liegt sein philosophischer Ertrag: Der wirklich Schlafende verschläft die Welt und nicht zuletzt auch sich selbst. Damit erreicht er den paradoxen Zustand eines «Selbst der Selbstabwesenheit».

Vielleicht gelingt dieser Zustand nicht des Nachts im Bett, wenn wir bedenken, was der nächste Tag bringen wird. Doch er gelingt im Dahindämmern untertags, selbstvergessen im Schatten eines Baumes. Wie es nur der Sommer möglich macht.

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