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Lob des Sommers Schweiss auf nackter Haut

Er riecht streng. Kein Wunder, hat der Schweiss keine Lobby. Aber im Sommer ist etwas anders. Und das liegt nicht nur an der Sonnencrème, findet Catherine Newmark – im zweiten Teil unserer Sommerserie.

Unwillkürlich hält er Einzug auch in die Bars und Cafés der Grossstädte, im Juli und August, dieser Urlaubsduft, diese Nasevoll Erinnerung an Sonne, Strand und entspannte Gliedmassen: der Geruch von heisser, schwitziger Haut, gemischt mit ein bisschen Sonnencrème, dieses olfaktorische Äquivalent zum Meeresrauschen und dem Knirschen von Sand unter den Füssen, zum Klang der Laute unter Zitronenbäumen – oder wie immer die Phantasien vom Süden über die Jahrhunderte lauteten.

Schweiss und Schmerzen

Eine gute Reputation hat der Schweiss nicht, seit biblischen Zeiten nicht. Erinnern wir uns: Er ist – neben den Gebärschmerzen und den Mühen des Ackerbaus – Teil der Höchststrafe, die auf das Essen der verbotenen Paradiesfrucht folgt.

Catherine Newmark

Catherine Newmark

Philosophin und Kulturjournalistin

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Catherine Newmark ist Philosophin und Kulturjournalistin und lebt in Berlin. Sie ist verantwortlich für die Sonderausgaben des Philosophie Magazins.

«Im Schweiss deines Angesichts wirst du dein Brot essen, bis du zum Erdboden zurückkehrst, denn von ihm bist du genommen. Denn Staub bist du, und zum Staub kehrst du zurück.» So heisst es in der Zwingli-Bibel, Genesis 3, und dass Schweiss mit Arbeit verbunden ist, und also auch eine Klassenfrage in sich trägt, ist seit jeher Teil der Skepsis ihm gegenüber.

Arbeiter tun es, Federer nicht

Noch heute gibt es das Klischee des schwitzenden Bauarbeiters. Und das alte englische Sprichwort «Horses sweat, men perspire, but ladies merely glow» verrät nicht nur etwas über die Geschlechterordnung, sondern durchaus auch etwas über die Klassengesellschaft, in der eben Damen nichts so Vulgäres wie der Gebrauch ihrer Schweissdrüsen zugeschrieben werden kann.

Für Schweizer gibt es auch eine Version mit dem angesichts schwitzender und stöhnender Gegner unvergleichlich leicht über den Tennisplatz schwebenden Roger Federer: «Horses sweat, gentlemen perspire, but Roger merely glows» – auch das Teil der Nobilitätslegende um den «Gentleman»-Tennisspieler.

Ein bisschen animalisch

Dass Schweiss auf ungewaschener Haut und in ungewaschenen Kleidern unangenehm riecht, ist bekannt. Den Sommerschweiss dagegen, dem wir uns selbst durch maximale körperliche Untätigkeit nicht entziehen können, mag ich, nicht nur aufgrund der unwillkürlichen Urlaubserinnerungen, die er in mir aufruft.

Lob des Sommers

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Es ist Sommer. Sommer kann so vieles sein. Was bedeutet er für Philosophen? Im Juli und August blicken wir auf sommerliche Themen, aus philosophischer Perspektive.

Sondern auch, weil er ein wohltuender kleiner anthropologischer Hinweis auf unsere Körpernatur ist, wie so vieles im Sommer, wo wir in unseren Breitengraden gemeinhin nackter und mithin auch ein bisschen animalischer werden.

Wesen zweier Welten

Nicht erst seit Kant wissen wir, dass wir als Menschen Wesen zweier Welten sind: einer sinnlichen, körperlichen und einer geistigen, moralischen. Es ist letztere, die ethische Anforderungen an uns stellt.

Die vielleicht strengsten Formulierungen dieser Tatsache finden wir bei Existenzialisten wie Simone de Beauvoir, die unsere Verhaftetheit in der Biologie, im Animalischen der Fortpflanzung und Arterhaltung, betont und dennoch darauf besteht, dass wir als Menschen unentwegt in der Pflicht sind, unsere Freiheit aktiv zu leben und uns über die blossen Bestimmungen der Spezies zu erheben.

Staubige Aussichten

Das ist so richtig wie mühevoll. Und genau darum ist der uns im Sommer überall hin begleitende Schweiss so wichtig. Im anstrengenden Geschäft der Freiheit, das wir täglich verfolgen (und an dem wir täglich scheitern), ist er ein kleines, aber feines Memento mori, eine milde Erinnerung nicht nur an den Strand und den Süden. Sondern auch daran, dass wir Staub sind und zu Staub werden. Kaum etwas am Sommer ist schöner.

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