Hoffnung ist ein grosses Wort. Ich nehme es selten in den Mund und nehme die Hoffnung meist nur im Kleinen wahr. In Kinderaugen, die glänzen. In Menschen, die bei gleichen Witzen wie ich lachen. Im Meer, das seelenruhig vor sich hin rauscht.
Das grosse Ganze blende ich meist aus. Scheuklappen aufsetzen: mein wohl unmoralisches Motto in meinem Mikrokosmos, wenn es um die Weltlage geht. Zu schwer, zu deprimierend alles.
Ohne Hoffnung keine Zukunft, heisst es so simpel. Aber was, wenn die Gegenwart ein solcher Horror ist, dass man sich die Zukunft gar nicht ausmalen will? Krisen, Kriege, unüberwindbare Kontroversen: Sie machen vielen Menschen zu schaffen, machen sie träge, verzweifelt. Die Hoffnung, dass alles besser wird, schwindet – und damit die Hoffnung auf Veränderung. Auf Aufbruch. Auf Neuanfang.
«Ich bin von der Fraktion Hoffnung»
Eine, die Menschen sozusagen professionell Mut macht, ist die Bestsellerautorin, Politökonomin und Transformationsforscherin Maja Göpel. Mit ihrem Buch «Unsere Welt neu denken», das 2020 erschien, wurde sie einem breiten Publikum bekannt. Ihr Credo: Wir alle können unsere Welt verbessern.
«Ich bin von der Fraktion Hoffnung», sagt Göpel im SRF-Podcast «Zimmer 42». Auch mit ihrem neuen Buch «Werte: Ein Kompass für die Zukunft» will sie Hoffnung stiften. Die Grundannahme: Die Rückbesinnung auf gemeinsame Werte könne uns als Gesellschaft helfen, hoffnungsvoll zu bleiben.
Auch Göpel stimmt aber gerade vieles zunehmend hoffnungslos: «Verhaltensweisen etwa, von denen ich dachte, dass wir sie zivilisatorisch längst im Griff hätten.» Konkret: Die Umgangsformen, die vom Weissen Haus ausgehen, wo Anstand nicht mehr angesagt ist.
Anstand als Anker
Der Anstand ist ein Wert, für den sie sich starkmacht im neuen Buch. Anstand sei «der Anker im Sturm», um sich in Krisenzeiten orientieren zu können. Heute, schreibt Göpel, wachse «Wutsamkeit statt Wirksamkeit», statt gemeinsam zu sprechen werde gebrüllt.
Anstand wirke als Gegenmittel: Er ermögliche Zivilcourage, Gesprächskultur. Der Anstand wird so zur Voraussetzung, um über Werte, die über vermeintlich unüberwindbare Gräben hinweg gelten, zu sprechen: über Chancengerechtigkeit etwa, Wohlstand oder Freiheit. Das gemeinsame Reden, die Möglichkeit, dann etwas unternehmen zu können, schaffe bessere Aussichten – Hoffnung eben.
Hoffnungslage in der Schweiz
Den Hoffnungsforscher Andreas M. Krafft, der am Telefon bereits wohltuend entspannt klingt, stimmt auch manches hoffnungslos: «Die politische Grosswetterlage tut mir weh.» Der Umstand etwa, dass eine Mehrheit der Menschen eine friedliche Welt anstrebe, eine Minderheit, die an der Macht sei, das jedoch verhindere. «Daran verzweifeln», sagt er, wolle er nicht. Wohl auch des Berufes wegen.
Andreas M. Krafft, der an der HSG zum Thema Hoffnung forscht und lehrt, verfasst zusammen mit anderen Wissenschaftlern jährlich das Hoffnungsbarometer, das Erwartungen, Wünsche und Hoffnung der Menschen in Bezug auf die persönliche und gesellschaftliche Zukunft untersucht.
Jeder für sich?
Hauptquellen der Hoffnung sind laut dem Schweizer Barometer die Natur und die Beziehung zur Familie. Hoffnungslos stimmt viele Menschen jedoch die Weltlage, die immer mehr die persönliche Hoffnungslage beeinflusst: «Je gedrückter die Stimmung in Bezug auf Politik, Wirtschaft, Weltgeschehen ist, desto stärker hat dies einen Einfluss auf die persönliche Stimmung», erklärt Krafft.
Besonders bei jungen Leuten sei dies der Fall. Oft stelle sich eine Perspektivlosigkeit ein. Die Folgen, die meist aus Selbstschutz entstehen: Abschottung, Individualismus, Egoismus.
Wer etwas erreicht, was über einen selbst hinausgeht, ist auch selber hoffnungsvoller gestimmt.
Die Crux dabei, so Krafft: «Das ist das Gegenteil, was wir brauchen, um die grossen Herausforderungen unserer Zeit zu meistern. Es ist wichtig, dass wir uns gemeinsam für eine bessere Zukunft einsetzen.» Aber wie Menschen motivieren, die entmutigt sind? Sie anspornen, sie hoffnungsvoll stimmen?
Krafft betont einen Fakt aus der Forschung: «Wer etwas erreicht, was über einen selbst hinausgeht, ist auch selber hoffnungsvoller gestimmt.»
Krafft will das seinen Studierenden im Kleinen vermitteln. In praktischen Projekten sollen sie sich etwa für Familien mit Kindern mit seltenen Krankheiten oder für Krebspatienten und -patientinnen einsetzen: «Sie erleben hier ihre Wirksamkeit in den Hoffnungen anderer.» Ihnen werde bewusst – ganz simpel: Ihr Handeln macht einen Unterschied. Das ermutigt sie – und andere.
Dies betont auch Maja Göpel: «Wir freuen uns nachhaltiger, wenn wir anderen etwas ermöglicht haben, als wenn wir nur selbst etwas bekommen haben.»
Die Gabe der Vorstellungskraft
Anderen helfen, Gutes bewegen, selbst wenn scheinbar Schlechtes dominiert – das könne der Mensch. Und er habe eine besondere Gabe, so Göpel: «Die Spezies Mensch zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Vorstellungskraft hat und dass sie etwas wünschen kann, was positiver wäre.»
Schwarzmalen oder apokalyptische Erzählungen helfen nicht, um weiterzukommen. Was helfe: sich ausmalen, wie es besser sein könnte und daran glauben.
Vorwärts, rückwärts, weiter
Geduldig dranbleiben, so Göpel, sei dabei ein wichtiger Faktor für Fortschritt: «Sich immer wieder einzusetzen für ein wünschenswertes Ergebnis, ist die DNA von Fortschritt, ob sie erhaltend ist oder neu schaffend.» Sich für die Frauenrechte einzusetzen, selbst wenn das Patriarchat erstarkt scheint. Sich für Natur und Klima einzusetzen, selbst wenn die Schlagzeilen zur Klimaerwärmung aussichtslos stimmen.
«Wenn es eine Zeit lang zurückgeht, heisst es nicht, dass das Ziel für immer verloren ist.» Kurz: Fortschritt passiert meist Schritt für Schritt – und auch mal mit Rückschritt. Sie auf jeden Fall bleibe dran, «mit freundlicher Penetranz», wie Göpel so schön sagt.
Menschen, die Krisen erlebt und diese überwunden haben, können besser hoffen.
Stolpern, hinfallen, wieder aufstehen: Das tönt nach anstrengender Selbstoptimierung. Aber so abgedroschen es klingt: Krisen können einen weiterbringen – die Hoffnung stärken, sagt auch Krafft.
«Menschen, die Krisen erlebt und diese überwunden haben, können besser hoffen.» Deswegen seien ältere Menschen, die aufgrund der Lebenserfahrung meist mehr Hürden überwunden haben, hoffnungsvoller. Mit Blick aufs Alter mag das für junge Menschen versöhnlich klingen. Aber wie jetzt zu Hoffnung kommen?
Wir brauchen Hoffnungs-Vorbilder
Ein Manko heute: die Vorbilder. Krafft stellt fest, dass Vorbilder fehlen: «Wir haben in der heutigen Zeit kaum Hoffnungsträger, die uns den Weg zeigen, die Vorbilder sind.» Frage er seine Studierenden, würden sie meist Menschen aus der Geschichte nennen wie Mahatma Gandhi, Nelson Mandela oder Mutter Teresa.
Eher präsent in den Medien seien Macht-Menschen, die eben genau falsche Hoffnungen schüren, die fern der Realität seien: «Hoffnung muss immer realitätsbezogen sein», so Krafft. Sonst seien es per Definition keine Hoffnungen, sondern gefährliches Wunschdenken.
Was ist denn heute eigentlich positiv gewesen? Wer war nett zu mir?
Darum, so Andreas Krafft, sei auch Maja Göpel eine Hoffnungsträgerin mit ihren Büchern und Vorträgen – weil sie in ihren Beiträgen aufzeige, wie wir als Gesellschaft an einer besseren Zukunft arbeiten können.
Eine bessere Zukunft – klingt trotzdem gross, für viele gefühlt weit weg. Maja Göpel hat aber auch einen Tipp für den privaten Rahmen, um zuversichtlich zu bleiben, in einer Welt, die gerade irre scheint: «Sich abends hinsetzen vor dem Schlafengehen und sich überlegen: Was ist denn heute eigentlich positiv gewesen? Wer war nett zu mir? Wo ist etwas gelungen?» Vielleicht der Anfang einer besseren Zukunft – und recht bequem machbar.