Das Film-Highlight: «Touch Me Not» von Adina Pintilie geht unter die Haut
Es gab schönere Filme in diesem Jahr, berückendere. Aber keinen, der mir auch nur annähernd so radikal auf den Pelz bzw. die Haut gerückt ist wie «Touch Me Not».
Dass uns ein Film oder eine Szene berührt habe, behaupten wir immer wieder. Physisch stimmt das nie. Wenn es vorkäme, würden wir uns sehr erschrecken.
«Touch Me Not» ist ein Experiment in Sachen Berührung: Der Film zeigt nicht einfach, wie eine schöne Frau um die 50 gegen ihre Berührungsphobie kämpft, er führt mich unwillkürlich an meine eigenen Gefühlsgrenzen. Fordernd, verblüffend und unvergesslich.
(Michael Sennhauser)
Das Literatur-Highlight: Slammerin Patti Basler trifft den Nerv der Zeit
Patti Basler schlägt sie alle! 2019 erhält die Aargauer Slam Poetin die begehrteste Kleinkunsttrophäe im deutschen Sprachraum, den Salzburger Stier.
Weil sie schnell und klug ist. Und weil sie in ihren Texten und Auftritten keine Rücksicht auf gar keinen nimmt. Mit ihr gewinnt zum dritten Mal hintereinander eine Slam Poetin oder ein Slam Poet den Stier für die Schweiz.
Poetry Slam ist die Literaturform der Stunde: Kurzliteratur für die Bühne, den Studentenkellern längst entwachsen. Der Final der deutschsprachigen Meisterschaft fand Anfang November im vollen Zürcher Hallenstadion statt. Zwei Wochen zuvor hatte die Schweizer Szene ihren 20. Geburtstag gefeiert, mit einem Generationenslam am «woerdz»-Festival in Luzern. Slam Poetry hat die Pubertät hinter sich, ist berechenbar geworden – und erfolgreich!
(Markus Gasser)
Das Musik-Highlight: Die «Fin de Partie» meistert György Kurtág meisterlich
Lange nicht mehr wurde eine neue Oper so sehnlichst erwartet wie «Fin de Partie» von György Kurtág. Der ungarische Komponist ist bekannt für seine reduzierte Musiksprache und kurzen Stücke. Wie eine abendfüllende Oper dieses Meisters der Miniaturen klingen würde, und ob der über 90-jährige Kurtág dieses Werk überhaupt vollenden würde, haben sich viele gefragt.
Am 15. November 2018 wurde «Fin de Partie» an der Mailänder Scala uraufgeführt – zumindest eine erste Fassung. Kurtág plant noch weitere Szenen aus Samuel Becketts Vorlage «Endspiel» zu vertonen.
Aber das Werk gilt schon jetzt als Meisterwerk. Das gross besetzte, aber meist nur in Kleingruppen spielende Orchester begleitet den Gesang wie ein Schatten. Es umhüllt quasi den Text und gibt ihm zusätzliche Tiefe. Kurtágs Oper ist ein neues, ein dunkel funkelndes Juwel in der Operngeschichte.
(Moritz Weber)
Das Theater-Highlight: Drei Frauen fürs Theater Neumarkt
Ungewöhnlich ist schon die Dreierbesetzung einer Theaterdirektion. Dass es ein weibliches Trio ist, erst recht. Am Zürcher Neumarkt-Theater übernehmen nächsten Sommer drei Frauen die Leitung.
Julia Reichert (35) war leitende Dramaturgin am Luzerner Theater, Hayat Erdogan (37) lehrte Dramaturgie an der Zürcher Hochschule der Künste, Tine Milz, mit 29 die jüngste im Bund, studierte dort Dramaturgie und Fine Arts. Die Intendantinnen kennen also Zürich wie ihre eigene Westentasche.
Für das Neumarkt ist das matchentscheidend in seiner schwierigen Position zwischen dem Schauspielhaus und der freien Szene – und die Stadt setzt ein Zeichen gegen die grassierende Geschlechterungerechtigkeit im Theater.
(Andreas Klaeui)
Das Philosophie-Highlight: Hannah Arendt stürmt die Bestsellerlisten
Dass ein Essay aus der Feder einer Philosophin zum Bestseller wird, ist schon ungewöhnlich genug. Dass er von einer längst verstorbenen Philosophin stammt, macht die Sache geradezu unwirklich. «Die Freiheit, frei zu sein» von Hannah Arendt gehörte 2018 zu den grossen Überraschungserfolgen auf dem deutschsprachigen Buchmarkt.
Dabei ist der kurze Text aus dem Jahr 1967 nicht einfach zugänglich. Arendt denkt darin über die Wechselwirkung zwischen Revolution und Freiheit nach: Revolution darf nicht bei der Freiheit von Unterdrückung stehen bleiben, sondern muss zu politischer Teilhabe und Anerkennung führen.
Mit Arendt lässt sich die Debatte um Identitätspolitik neu verstehen. Der erste Satz des Essays erklärt den Erfolg des Bändchens: «Mein Thema heute ist, so fürchte ich, fast schon beschämend aktuell.»
(Barbara Bleisch)
Das Kunst-Highlight: Banksys schreddert «Girl with a Balloon»
Die Idee war grandios. Nicht als Kunst, sondern als Marketingidee. Ein Bild in einer Auktion versteigern zu lassen, das, kaum ist es verkauft, sich selbst zerstört. Kaum fiel der Hammer zum Preis von einer Million Pfund, wurde ein Bild mit dem Titel «Girl with a Balloon» durch den Schredder gelassen, der im Rahmen eingebaut war.
Ausgedacht hatte sich die Idee der britische Künstler Banksy, der nicht nur den Schredder in den Rahmen eingebaut hatte, sondern auch darauf bedacht war, dass das Bild während der Auktion im Saal hing.
Als kleine Provokation fürs Publikum ins Szene gesetzt, war die Aktion ein Lehrstück der Wertvermehrung. Denn schnell wurde klar, das geschredderte Bild würde den Wert des Kunstwerkes nicht vermindern, sondern vermehren: Dank der grossen Aufmerksamkeit.
(Stefan Zucker)
Das Religions-Highlight: Diese Schweizer Klosterfrauen rocken!
Für mehr Mitbestimmung in der römisch-katholischen Kirche laufen sich die Schwestern vom Kloster Fahr werbewirksam die Hacken wund.
Letztes Jahr pilgerten die Benediktinnerinnen viele Kilometer mit dem Protestmarsch auf Rom, den die Bewegung «Für eine Kirche mit den Frauen» lanciert hatte. Und posierten auf Fotos für ein Wahlrecht von Ordensfrauen an Synoden im Vatikan.
Die Nonnen haben 2018 auch ihre Klostertüren geöffnet: Ein Fotograf und eine Journalistin durften sehr persönliche Lebensporträts der Schwestern gestalten. Das Buch «Im Fahr» ist eines der eindrücklichsten des Jahres.
(Judith Wipfler)