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Gewalt gegen Frauen Wenn Kunst das Schweigen durchbricht

Das Museum Tinguely zeigt eine eindringliche Videoinstallation mit Missbrauchsberichten. Sie regt zum Nachdenken an und lässt auch eine Schulklasse über extreme Gewalt reflektieren – und über Belästigung im Alltag.

Die Ausstellung ist mit deutlichen Warnhinweisen versehen. Es gibt einen Rückzugsort; für den Fall, dass es Besuchenden zu viel wird. Warum? Die gezeigte Videoinstallation der US-Künstlerin Suzanne Lacy hat es in sich. Das Publikum wird mit Erfahrungsberichten misshandelter Frauen konfrontiert.

Männer lesen Gewaltberichte

Grosse Bildschirme zeigen Männer, die eine halbe Stunde lang Geschichten von Frauen aus Ecuador vorlesen – Frauen, die Gewalt erlebt haben. Es geht um Missbrauch, Gruppenvergewaltigung und Femizid.

«Die bewusste Entscheidung, männlich gelesene Personen die Zeugnisse weiblich gelesener Gewaltopfer vortragen zu lassen, unterstreicht die Rolle des Patriarchats als strukturelle Grundlage dieser Gewalt», heisst es im Pressetext zur Ausstellung.

Aufklärung in der Ausstellung

Gewalt gegen Frauen ist auch in der Schweiz verbreitet. Das Museum bietet daher ein Rahmenprogramm, erklärt Kuratorin Sandra Reimann. Dazu gehören Lesungen, Diskussionen mit Fachpersonen – und Workshops für Jugendliche.

Femizide in der Schweiz

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22 Frauen wurden in diesem Jahr in der Schweiz bereits getötet, einfach weil sie Frauen sind – mehr als im gesamten letzten Jahr. Der letzte sogenannte Femizid ereignet sich diese Woche im Kanton Neuenburg.

Denn: «In der Schweiz ist laut Zahlen der Opferhilfe jede zweite Beziehung von Jugendlichen von sexualisierter Gewalt betroffen», sagt Reimann. «Deswegen bieten wir zusammen mit der Opferhilfe Workshops für Schulklassen an.»

Stimmen der Schüler

Eine zweite Klasse der Fachmittelschule Murten sitzt in einem dunklen Raum. Um sie herum Bildschirme. Abwechselnd erscheinen darauf die Männer, lesen erschütternde Berichte vor: «I learned to die, little by little», heisst es in einer Rezitation – eine Frau, die häusliche Gewalt erlebt und durch den Mund des Mannes ausspricht: bei jedem Schlag würde sie ein kleines Stück mehr sterben.

Die Videos stammen von einer Performance, die die Künstlerin in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito veranstaltete. Die Jugendlichen aus Muttenz sind beeindruckt: «Das ist recht brutal gewesen. Es ist ein Tabuthema», sagt ein Schüler. Eine Schülerin: «Es ist schon eine krasse Ausstellung, die man nicht alltäglich im Museum zu sehen bekommt.»

Im Workshop reflektiert eine Vertreterin der Opferhilfe das Gehörte mit der Klasse. Es geht um verschiedene Arten von sexualisierter Gewalt, von verbalen Übergriffen bis hin zur extremsten Form, dem Femizid.

Was bedeutet Femizid?

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Ein Femizid beschreibt die Tötung einer Frau oder eines Mädchens aufgrund ihres Geschlechts. Das sexistische Motiv des Verbrechens wird dabei betont und unterscheidet es von anderen Formen der Tötung. Im Strafgesetzbuch kommt der Begriff nicht vor.

Die Klasse hört zu, kommentiert, teilt ihre Gedanken. Extreme Gewalt würden die Schüler zum Glück nur aus den Medien kennen. Präsent ist das Thema dennoch: «Ich finde als Jugendliche oder Frau kann man Blicken von Männern im öffentlichen Verkehr oder in der Stadt generell nicht ausweichen. Ich bin selbst auch schon belästigt worden – also ich wurde ungewollt angefasst», erzählt eine Schülerin.

«Man muss nicht unbedingt so etwas erlebt haben», sagt eine andere. «Man spürt, wenn es einem unangenehm ist. Im Tram, im Zug, am Abend, weil man immer jemanden anrufen muss, damit man nicht allein ist. So betrifft es dann wieder jede Frau.» In solchen Situationen würden sie sich oft hilflos fühlen, sagen mehrere Schülerinnen.

Nahaufnahme einer Hand auf einem dunklen Hintergrund.
Legende: Für viele Mädchen und Frauen gehören Sexismus und Belästigung zum Alltag: Laut Zahlen von Amnesty International aus dem Jahr 2019 haben 59 Prozent aller Befragten in der Schweiz unerwünschte Berührungen erlebt. Getty Images/Lisa Schaetzle

Die Schau würde ihnen darum ein Stück weit auch guttun. Eine Schülerin sagt, es sei ermutigend, dass Betroffene sich trauen würden, ihre Erfahrungen zu teilen. So wisse man, dass man mit solchen Erlebnissen nicht allein sei und offen darüber sprechen dürfe.

Es ist eine bedrückende Ausstellung. Aber auch eine ermutigende – weil Betroffene eine Stimme bekämen.

Ausstellungshinweis

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Die Ausstellung «Suzanne Lacy: By Your Own Hand» ist noch bis zum 7. September im Museum Tinguely Basel zu sehen.

Hier finden Sie Hilfe bei sexueller Belästigung und Missbrauch

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Bei sexueller Belästigung und sexuellem Missbrauch stehen folgende Stellen zu Ihrer Unterstützung und Beratung zur Verfügung:

SRF4 News, Rendez-vous, 22.8.2025, 12:30 Uhr ; 

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