«New Realities» erscheint wie eine gewöhnliche Fotoausstellung. Die Bilder wirken auf den ersten Blick vertraut, erinnern an stilisierte Modefotografien oder an den Fotorealismus von John Baeder. Bei genauerem Hinsehen aber kippt die Illusion: Schriftzüge bestehen aus nicht-existierenden Buchstaben, Körperteile wirken seltsam verrenkt.
Geräte sind unvollständig oder aus scheinbar unvereinbaren Elementen zusammengesetzt – absurde, surrealistische Konstrukte: eine grüne Nähkaffeemaschine, eine Plattenspieler-Schreibmaschinen-Kamera, ein analoges Telefon ohne Sprechmuschel. Daneben hängen aalglatte Portraits von überhöhter Schönheit oder irritierender Perfektion.
Glitches als Stilmittel
Die visuellen Irritationen in den Bildern sind kein Zufall. Die deutsche Digital-Kuratorin Maren Burghard hat die Bilder nicht fotografisch oder malerisch erschaffen, sondern zusammen mit KI-Bildgeneratoren. Burghards Werke zeigen, wie KI-Modelle kollektive Vorstellungen verarbeiten und daraus neue Imaginationen kreieren. KI-Modelle interpretieren algorithmisch unsere visuelle Kultur – und machen dabei auch Fehler.
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Bild 1 von 5. Seidenglatte Haut, perfektes Haar, stilvolle Geräte: KI weiss, optische Perfektion zu liefern – und setzt damit auch neue Standards. Bildquelle: KI-Bild: Maren Burghard.
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Bild 2 von 5. Dabei nimmt es die Künstliche Intelligenz im Detail dann nicht ganz so genau mit dem Abbild unserer Realität. Solche «Bildstörungen», wie hier an Text und Ziffern, kennen wir von der KI. Bildquelle: KI-Bild: Maren Burghard.
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Bild 3 von 5. In anderen Darstellungen sind die Irritationen in den Bildern nur marginal – und machen einen Teil der Bildästhetik aus. Was erscheint Ihnen in diesen Bild als unwirklich? Bildquelle: KI-Bild: Maren Burghard.
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Bild 4 von 5. Was wäre wenn? Das KI-Bild «Erinnerungssysteme» vereint bekannte Wiedergabe-Technologien und lässt grübeln: Wäre es gut, so etwas zu haben oder haben wir es bereits, in anderer Form? Bildquelle: KI-Bild: Maren Burghard.
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Bild 5 von 5. Zum Schluss noch etwas fürs Auge. Oder den Magen? KI-generierte Bilder können schon ein wenig gruseln – wie auch echte Speisen mitunter …. Bildquelle: KI-Bild: Maren Burghard.
Manche dieser «Glitches» (Bildstörungen) stammen aus den frühen Tagen der KI, andere werden bewusst in die Bilder eingearbeitet. Sie werfen Fragen auf bezüglich der Vertrauenswürdigkeit des Betrachteten: Wie echt ist das Bild? Was ist der Wert des «Echten» überhaupt?
Und was, wenn der Fake komplett neue Sichtweisen auf das Echte ermöglicht und dadurch unsere Realität verändert? Ist dann nicht die Basis des Echten der Fake? Was heisst das in Bezug auf die Art und Weise, wie wir das Echte und das Fake auseinanderhalten? Und warum wollen oder sollen wir das überhaupt tun?
Das Bilderspiel mit KI ist mehr als Spielerei
Die Ausstellung «New Realities» ist mehr als ein ästhetisches Experiment. Sie zeichnet den Aufstieg einer Technologie nach, die, kreativ genutzt, zum Werkzeug wird, mit dem sich die Welt neu denken und gestalten lässt. Andererseits wird auch klar: Realität und Simulation sind in naher Zukunft kaum mehr auseinanderzuhalten. Ohne kritischen Blick aufs Bild verstehen wir bald die Welt nicht mehr.