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Kunst und Utopie Wo bitte geht's zum Paradies?

Kunst und Utopie – das war schon immer ein Traumpaar. Einst entwarfen Kunstschaffende weitläufige Paradiese. Heute dagegen geht es in der Kunst meist um kleine Schritte zu einem nachhaltigeren Leben.

Es grünt und wächst im Ausstellungsraum. Caroline von Gunten und Evgenij Gottfried haben für die Ausstellung «Was wäre wenn?» im Kornhausforum Bern eine Multimedia-Installation aus Zimmerpflanzen arrangiert.

Auf den ersten Blick sieht es aus wie eine zeitgenössische Interpretation des Paradieses: im Zimmerformat, mit Topfpflanzen statt Apfelbäumen. Doch die Arbeit ist mehr als ein Indoor-Garten. Bewegungsmelder aktivieren Beleuchtung, Ventilatoren und Sounds, die die Pflanzen versorgen und stimulieren. Botschaft: Auch kleine Paradiese brauchen Hege und Pflege.

Sehnsucht nach Utopie

Paradiese sind glückliche und beglückende Orte, frei von Sorgen und Mühe. Die Sehnsucht nach diesen Orten ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst. Obwohl oder weil diese utopischen Orte weit davon entfernt sind, jemals real zu werden.

Ausgenommen in der Bildenden Kunst, die sich zu allen Zeiten gern Gartenutopien und Schlaraffenländer ausgemalt hat. Kunstschaffende liessen idyllische Gärten und Eilande entstehen.

Im «Garten der Lüste» von Hieronymus Bosch kippt das Paradiesmotiv ins Bizarre. Henri Rousseau malte rund 400 Jahre später utopische Gärten, die biblischen Paradiesgedanken folgen: Löwen und Rehe liegen friedlich nebeneinander.

Surreales Gemälde mit fantastischen Kreaturen und Landschaften.
Legende: Wimmelbild mit Hang zum Fantastischen: Mitteltafel des Triptychons «Garten der Lüste» von Hieronymus Bosch. Wikimedia

Die Utopie ist – wortwörtlich genommen – ein Ort, den es nicht gibt. Der englische Staatsmann Thomas Morus erschuf den Begriff aus dem altgriechischen ou (nicht) und topos (Ort, Stelle), gemeinsam «Nicht-Ort». In seinem Roman «Utopia» beschrieb er 1516 eine Gegenwelt zum England der Renaissance. Es war eine streng regulierte Gegenwelt mit engen Moralvorstellungen. Morus wollte seinen Zeitgenossen einen kritischen Spiegel vorhalten, sie zum Besseren erziehen.

Nicht träumen – machen!

Lange Zeit waren Paradiese schöne, etwas überschwängliche Traumwelten. Doch spätestens seit dem 19. Jahrhundert scheint über den Utopien in der Kunst die Überschrift zu stehen: Nicht träumen, sondern machen. Aus dem Wunsch heraus, die Kunst zu erneuern und das Leben gleich mit entstanden Kolonien wie am Monte Verita. Kunst und Kultur, so die hehre Idee, sollten zu einem neuen, bewussteren, frischeren Leben verhelfen.

Die utopischen Träume sind kleiner geworden. Wenn zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler an eine bessere Welt denken, dann geht’s weniger um grossräumige Paradiese und neue Gesellschaften, sondern um kleine Schritte.

Ein Mundvoll Utopie

In der jüngsten Zeit sind es oft Schritte, die sich mit unserem ökologischen Fussabdruck beschäftigen. Künstler arbeiten mit Naturwissenschaftlerinnen zusammen oder werden selbst zu Forschenden. So bereist etwa Monica Ursina Jäger zusammen mit einer Geobiologin Schweizer Berge und norwegische Fjorde, um den Zustand von Gletschern zu begutachten. Gabriela Gerber und Lukas Bardill wiederum halten Veränderungen in der Bündner Bergwelt fest. Und George Steinmann spielt den schmelzenden Gletschern den Blues.

Kunstschaffen wird zum Versuch, sorgsam mit der Natur und den von ihr gebotenen Ressourcen umzugehen. Manche Kunstschaffende sammeln schädliche Neophyten, andere seltene Varietäten von Bohnenkeimligen. Sie bepflanzen Ausstellungsräume oder legen artenreiche Gärten an. Sie kochen und brauen und fermentieren und erschaffen so einen Mundvoll Utopie, der im Alltag Platz hat.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 29.12.2025, 17:10 Uhr.

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