Seine Bücher sind beliebt: Peter Stamm steht zum wiederholten Mal ganz oben auf der SRF-Bestenliste. Hier die von der Jury gekürten Lese-Highlights im Countdown.
5. Usama Al Shahmani: «In der Tiefe des Tigris schläft ein Lied» (18 Punkte)
Usama al Shahmani erzählt die Geschichte von Gadi, einem Zürcher Dozenten, der nach über 30 Jahren Funkstille seinen sterbenden Vater in Israel besucht. Nach dessen Tod bleibt ihm eine Tasche mit Tagebüchern und der Wunsch des Vaters, die Hälfte seiner Asche im Tigris zu verstreuen. Die Reise nach Bagdad wird zur Konfrontation mit Geschichte, Identität und Erinnerung.
Al Shahmani verbindet gekonnt die Vater-Sohn-Beziehung von Gadi und Zakai mit den grossen Themen Nahostkonflikt, koloniale Vergangenheit Europas und Nationalsozialismus. Grosse Leseempfehlung!
4. Thomas Melle: «Haus zur Sonne» (21 Punkte)
Thomas Melle machte 2016 mit «Die Welt im Rücken» seine schwere bipolare Krankheit öffentlich. Das Buch wurde ein Bestseller. Man hätte dem Autor gewünscht, es wäre ohne Fortsetzung geblieben. Doch die Krankheit kam mit voller Wucht zurück. So entwirft Thomas Melle in «Haus zur Sonne» eine Dystopie, in der man psychisch Kranken in einer staatlich finanzierten Klinik Lebenswünsche erfüllt, um sie dann in den Tod zu zwingen.
Haus zur Sonne – Paradies, Parabel oder besonders perfide Form der Euthanasie? Dieses Buch ist so schmerzhaft und sprachgewaltig, dass ich jeden einzelnen Satz unterstreichen wollte.
3. Verena Kessler: «Gym» (23 Punkte)
Die deutsche Autorin Verena Kessler lässt ihren aktuellen Roman «Gym» in einem Fitnessstudio spielen. Im Zentrum steht eine zunächst unsportliche junge Frau, die sich dort mit einer Notlüge einen Job an der Saftbar ergattert. Da im Gym das Aussehen alles bedeutet, beginnt sie zu trainieren. Sie verliert bald jedes Mass, spritzt sich Steroide – und fällt am Ende tief.
Leichtfüssig und mit trockenem Humor erzählt, lässt sich ‹Gym› als eine vergnüglich-bitterböse Satire auf die moderne Leistungsgesellschaft lesen.
2. Ian McEwan: «Was wir wissen können» (25 Punkte)
Ian Mc Ewan ist 77 Jahre alt, und seine Erzähllust ist ungebrochen. Auch mit seinem neuen Roman legt er ein komplexes, tiefgründiges und nicht zuletzt spannendes Werk vor. «Was wir wissen können», ist eine Dystopie, die im 22. Jahrhundert spielt: Nach Tsunamis, Kriegen, Krankheiten und Hungersnöten hat sich die Weltbevölkerung auf knapp vier Milliarden Menschen dezimiert. Ein Literaturwissenschaftler begibt sich auf die Suche nach einem verschollenen Gedicht. Einem Gedicht aus unserer heutigen Zeit.
Ian McEwan ruft uns mit diesem Buch in Erinnerung, dass wir den Menschen der Zukunft auch eine Zukunft schulden.
1. Peter Stamm: «Auf ganz dünnem Eis» (37 Punkte)
Peter Stamms Erzählband «Auf ganz dünnem Eis» ist ein literarisches Mosaik über das fragile Gleichgewicht des Lebens. Da gibt es zum Beispiel eine Schauspielerin, deren Leben zunehmend mit ihrer Rolle verschmilzt – oder einen jungen Mann, der im Keller seiner Eltern eine Mission auf den Mars simuliert. Die neun Geschichten sind verbunden durch ihre leise Dramatik, ihre existenzielle Tiefe und die Frage: Was passiert, wenn das Leben ins Rutschen gerät – und man trotzdem weitergeht?
Peter Stamm wird immer besser! Wie er mal satirisch, mal mit hinreissender Empathie von verdrängten oder bewältigten Schuldgefühlen erzählt, weist weit über die Schweizer Landesgrenzen hinaus: Erfindungsreich und literarisch vertrackt.