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Vom Underground zum Höhenflug 40 Jahre The Young Gods: Musik ohne Grenzen und Schubladen

Ihre Musik ist oft laut, meistens schnell und längst nicht jedermanns Sache. Doch The Young Gods aus Genf haben Fans weltweit. 2025 erreichten sie zum ersten Mal seit ihrer Gründung vor 40 Jahren Platz eins der Schweizer Hitparade. Jetzt startet ihre Europa-Tour.

«Als Kind habe ich oft Radio gehört, vor allem abends die Konzerte. Sachen, bei denen ich das Gefühl hatte, dass die Leute, die Musik machten, wie die frühen Pink Floyd oder die frühen Doors, mich verstanden. Als hätte ich grosse Brüder, die dieselbe Sprache sprechen wie ich», sagt Sänger und Gitarrist Franz Treichler. Das habe ihn dazu gebracht, dass er das Gleiche machen wollte.

Mann tanzend vor rotem Hintergrund
Legende: Schwierig zu schubladisieren und zeitlos: die Musik der Schweizer Band The Young Gods. SRF/RTS/Daniel Leippert

Wer genau hinhört, entdeckt vielleicht im einen oder anderen Song der Band The Young Gods Elemente von den Doors oder Pink Floyd. Doch eigentlich ist die Musik des Trios um Franz Treichler mit nichts zu vergleichen: Sie ist oft laut und schnell, weshalb ihnen die Musikindustrie das Etikett «Industrial Rock» verpasste, aber dann auch wieder atmosphärisch dicht oder gar minimalistisch.

Gitarrenrock ohne Gitarren

So machten die Young Gods von Beginn weg nicht nur schneidend scharfen Gitarrenrock – ohne Gitarren wohlgemerkt, denn die waren gesampelt – sondern «verschnipselten» auch Klänge von Violinen, einem Akkordeon oder von Baumaschinen.

Das machten andere in den 1980er-Jahren zwar auch. Doch weil die gerade in Mode gekommenen ersten Sampler unerschwinglich teuer waren, bastelten sich Treichler und Softwareingenieur Cesare Pizzi mit Walkman und Floppy Disks ihre eigenen Samples. Dazu sass hinter dem Schlagzeug stets ein Mann aus Fleisch und Blut. Zuerst Frank Bagnoud, dann Üse Hiestand und seit 25 Jahren nun Bernard Trontin.

Sampling

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«Sampling» bezeichnet den Vorgang, einen Teil einer – bereits fertigen – Ton- oder Musikaufnahme in einem neuen musikalischen Kontext einzubetten.

Diese Verbindung von Mensch und Maschine machte die Musik der Genfer von Beginn an aussergewöhnlich und kitzelte das Publikum aus der Komfortzone heraus.

«Album of the year»

Bereits ihr allererstes Album «The Young Gods» wurde in Grossbritannien 1987 mit Kritikerlob überhäuft, später folgten Produktionen in Brüssel und New York, aber auch ein Album mit Liedern aus der Dreigroschenoper. Die Band zog es auf die Bühne. So spielten sie zum Beispiel noch vor dem Mauerfall in Polen und der Tschechoslowakei. Der Lohn: eine Tankfüllung für den Tourbus. Und treue Fans.

Drei Männer, im Hintergrund blauer Himmel und Wolken
Legende: The Young Gods 1995 auf der Titelseite einer portugiesischen Musikzeitschrift. SRF/RTS

Tallinn, Warschau, Bratislava, Prag, Brno und Olomouc sind denn auch Stationen auf der neuen Tournee, die Mitte Oktober mit zwei ausverkauften Konzerten in Genf und Zürich beginnt. Franz Treichler freut sich darauf. Und die Sterne stehen gut: Im Jahr 2025 erreichte die Band zum ersten Mal seit ihrer Gründung vor 40 Jahren den ersten Platz der Schweizer Hitparade.

Musik als Heilmittel

«Die Young Gods waren immer eine Liveband», sagt Treichler. «Ich mag diese Energie, dieses Feuer, das wir mit dem Publikum zusammen entfachen. Das tut den Leuten gut. Denn Musik ist auch ein Heilmittel gegen die Welt, die man manchmal nicht mehr aushält.»

Zum Beispiel, wenn die Liebe stirbt. 2023 verliert Treichler seine Frau und Muse Heleen an Krebs. Das sei so verstörend gewesen, so Treichler, dass er die Stimme verloren habe: «Ich war wirklich sehr, sehr traurig und betroffen, und ich wollte alles ändern. Ich brauchte eine Weile, um mich wiederzufinden und sagte mir dann, Heleen hätte gesagt, dass ich mit derselben Energie weitermachen muss, die ich hatte, als wir mit dem Album begonnen haben.»

Es geht um die Vergänglichkeit des Lebens. Wir werden älter, wir verlieren Menschen. Aber es geht auch darum, wie du dich in der Gesellschaft positionierst.
Autor: Franz Treichler Sänger, Gitarrist und Komponist

So erschien das neue Album «Appear Disappear» im Juni mit drei Jahren Verspätung. Aber das macht nichts. Die Musik der Young Gods ist nicht nur schwer zu schubladisieren, sie ist auf eine positive Weise zeitlos.

Franz Treichler in dunkler Umgebung, lacht.
Legende: Sänger, Gitarrist und Komponist Franz Treichler in der Einsiedelei Magdalena bei Düdingen (FR). SRF/Christian Walther

Das neue Album ist trotzdem ein Spiegel seiner Zeit: Denn ohne die Pandemie, die Kriege in Gaza und der Ukraine und den Verlust weiterer Menschen aus dem Umfeld der Band, darunter der langjährige Produzent Roli Mosimann, klängen die neuen Stücke anders.

«Es geht um die Vergänglichkeit des Lebens. Das ist logisch. Wir werden älter, wir verlieren Menschen. Aber es geht auch darum, wie du dich in der Gesellschaft positionierst. Manchmal bist du aktiv, sogar sehr aktiv, und manchmal steigst du aus, weil du das Elend der Welt nicht mehr aushältst.» Das erzählt Franz Treichler in der Einsiedelei Magdalena in der Nähe von Düdingen (FR).

«Flammen und Feuer kommen und gehen»

Die Ermitage besteht aus in den Sandstein gehauenen Höhlen hoch über der zum Schiffenensee gestauten Saane, die im 17. Jahrhundert von zwei Eremiten errichtet wurde. Es ist eine überraschend grosse Anlage, die an jenem Sonntagnachmittag faszinierende Kontraste zwischen Licht und Schatten bietet. Und zwischen Lärm und Stille, denn man hört den tosenden Verkehr der nahen Autobahn.

Ich dachte, dass wir vielleicht vier oder fünf Jahre durchhalten. Aber 40 Jahre? Das konnte ich mir nicht vorstellen.
Autor: Franz Treichler Sänger, Gitarrist und Komponist

«Ich finde diesen Ort faszinierend und komme gerne hierher», sagt Treichler. «Wir stehen auf ehemaligen Sanddünen, die Millionen Jahre alt sind. Und da drüben ist die Autobahn. Es ist ein Kontrast zwischen der modernen Welt und einer Welt, die es nicht mehr gibt.»

Dieser Ort passt zu Franz Treichler und seiner Sicht auf die Welt: «Du sagtest, dass Materie keine Rolle spielt, Liebste. Flammen und Feuer kommen und gehen», singt er auf dem neuen Album. Wie immer sind manche Texte auf Französisch und manche auf Englisch, «Mackie Messer» und «Seeräuber Jenny» hat Treichler einst gar auf Deutsch gesungen. Doch Deutsch sei nicht seine Stärke, sagt Treichler, der in Freiburg aufgewachsen ist.

Franz Treichler bei Auftritt der Band mit Gitarre und Mikrofon, blaues Licht.
Legende: Der Freiburger Franz Treichler «zuhause» an der Bad Bonn Kilbi in Düdingen (FR). SRF/Gilles Brisseau

Dafür spricht er dank seines in São Paulo geborenen Vaters mit Zürcher Wurzeln Portugiesisch. Es gibt Leute, die sagen, man würde ihm dies ansehen, vor allem, wenn er die Haare lang trage und tanze. Bezüge zum Amazonas gibt es in der Musik zuhauf, vor allem in den rhythmisch geprägten längeren Kompositionen, sowie in den Texten, in denen wiederholt Symbole aus dem Schamanismus auftauchen.

Genauso sind auch Punk, Klassik, Cabaret und Chanson Teil des sich ständig ausdehnenden musikalischen Universums, das die interessanteste aller Schweizer Bands in den letzten 40 Jahren erschaffen hat.

SRF/RTS/Daniel Leippert
Legende: Franz Treichler und Cesare Pizzi 2010 im Proberaum in Genf. SRF

«Ich dachte am Anfang, dass wir vielleicht vier oder fünf Jahre durchhalten. Aber 40 Jahre? Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen», sagt Treichler zum Abschluss. Aber er hatte auch nie das Gefühl, dass es vorbei sein könnte. Die Energie sei immer geflossen, und die wollten sie auch live rüberbringen: «Energie ist für mich ein Tritt in den Hintern, nicht ein Schlag ins Gesicht.»

SRF1, 10vor10, 13.10.2025, 21:50 Uhr; noes

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