Der Barbershop, der mitten im Genfer Stadtzentrum liegt, ist heute geschlossen. Nur die Spuren der Polizeisiegel, die noch an der Tür sichtbar sind, lassen erahnen, was sich hinter der Fassade abgespielt haben könnte.
Ein halbes Dutzend Jugendliche, von denen die Jüngste noch keine 15 Jahre alt war, wurde regelmässig im Hinterzimmer für sexuelle Dienstleistungen missbraucht.
Im Mai führte die Polizei eine Razzia durch. Acht volljährige Männer wurden festgenommen. Sie werden unter anderem verdächtigt, sexuelle Handlungen mit Minderjährigen gegen Bezahlung vorgenommen und sie zur Prostitution angestiftet zu haben.
Die Genfer Staatsanwaltschaft hat ein Strafverfahren eröffnet und gibt keine weiteren Kommentare ab.
Immer mehr Fälle
Das ist offenbar nicht der einzige solche Fall, wie eine Recherche des Westschweizer Fernsehens RTS zeigt. Bei der zuständigen Behörde der Genfer Kantonspolizei tauchen fast jede Woche neue Verdachtsfälle im Bereich der Prostitution Minderjähriger auf.
«Es ist ein extrem geheimes, diskretes Milieu», erklärt Marc Zingg von der Genfer Kantonspolizei. «Und beunruhigend, weil wir es nicht unter Kontrolle haben. Es findet im Untergrund statt.»
In Genf wurden von den zuständigen Stellen rund 50 Jugendliche identifiziert, die möglicherweise der Prostitution nachgehen. Im Kanton Waadt sind es etwa 40, gemäss der Waadtländer Kantonspolizei.
Die Dunkelziffer könnte jedoch weitaus höher sein. «Das ist die Spitze des Eisbergs. Es ist schwierig zu sagen, ob es 100, 200 oder 300 sind», sagt Zingg. «Die Minderjährigen, die sich prostituieren, sind grundsätzlich junge Mädchen zwischen 14 und 17 Jahren.»
Die jungen Mädchen selbst werden in erster Linie als Opfer sexueller Ausbeutung betrachtet. Was die Ermittler vor allem interessiert, sind daher die Kunden. Und die eventuellen Netzwerke dahinter.
Für die Vermittlung der jungen Mädchen werden soziale Netzwerke und Onlineinserate genutzt. RTS konnte Chats zwischen Minderjährigen und potenziellen Kunden einsehen.
Einem der Mädchen wird vorgeschlagen, sich in einem Keller im Kanton Genf zu treffen, für Sex mit einem volljährigen Mann, für 60 Schweizer Franken.
Keine spezifischen Strukturen
Die Frage ist: Was kann man diesen Jugendlichen anbieten, um sie aus der sexuellen Ausbeutung zu holen? Im Gegensatz zu Frankreich, wo spezialisierte Heime geschaffen wurden, um minderjährige Opfer sexueller Ausbeutung aufzunehmen, verfügt die Schweiz über keine solchen spezifischen Strukturen.
RTS-Journalistin Flore Amos über ihre Recherche:
In Lausanne bietet die Vereinigung Astrée, die Opfer von Menschenhandel betreut, eine Begleitung an, aber nur ambulant. «Das sind Jugendliche, die sehr selbstsicher wirken, aber man merkt sehr schnell, dass sie eine tägliche Begleitung in unmittelbarer Nähe brauchen», erläutert die Direktorin, Angela Oriti.
Ihrer Meinung nach müssen unbedingt Instrumente zur Erkennung dieser Fälle in allen Kantonen eingerichtet werden. «Wir müssen aus der Verleugnung herauskommen. Es betrifft immer mehr Minderjährige, immer jüngere.»