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Neue Studie Unternimmt die Schweiz genug für Opfer von Zwangsmassnahmen?

Eine aktuelle Untersuchung blickt auf die dunkle Schweizer Geschichte fürsorgerischer Zwangsmassnahmen. Gleichzeitig hat die Studie die aktuelle Situation untersucht und kommt zum Schluss, dass im Schweizer Sozialwesen die Rechte von Menschen in prekären Situationen teilweise missachtet werden.

«Es gibt noch viel zu tun.» Dies das kurze Fazit aus dem Bericht des nationalen Forschungsprogramms «Fürsorge und Zwang». Die Ergebnisse wurden an diesem Donnerstag den Medien vorgestellt.

Das vom Bund in Auftrag gegebene Programm ist Teil des Aufarbeitungsprozess zu fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen. Es kommt zum Schluss: In vielen Bereichen seien zwar Verbesserungen umgesetzt worden, doch besonders in Bezug auf Mitwirkung der betroffenen Personen müsse noch Einiges getan werden.

Vom Bund anerkannte Gewalt

Mehrere Hunderttausend Menschen – die genaue Zahl lässt sich nicht feststellen – waren im 20. Jahrhundert von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen betroffen. Viele wurden Opfer von Misshandlung, Missbrauch und wirtschaftlicher Ausbeutung.

Seit der Entschuldigung des Bundesrates im April 2013 wird das Leid, das den Opfern zugefügt wurde, anerkannt. Der Bund selbst betraute den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) mit der Aufgabe, das historische Verständnis dieser dunklen Geschichte aufzuarbeiten.

Das Caregiver-Projekt: Unterstützung für Opfer von Zwangsmassnahmen in Bern

Im Kanton Bern gab es besonders viele ehemaliger Kinder und Personen, die von solchen fürsorgerischen Zwangsmassnahmen betroffen waren.

Das Projekt Caregiver will hier helfen. Es bietet eine Online-Plattform, auf der Opfer von Zwangsmassnahmen Unterstützung von Personen mit ähnlichen Erfahrungen erhalten können. Sie helfen ihnen dabei, mit den emotionalen und praktischen Herausforderungen des Älterwerdens umzugehen.

Erfahrungsberichte von Pflegekindern

Vor 1981 wurden in der Schweiz rund 100’000 Kinder meist aus ärmlichen Verhältnissen zwangsweise in Familien oder Heimen untergebracht. In den letzten Jahren haben immer mehr Opfer ihr Schweigen gebrochen, um eine Wiedergutmachung einzufordern. Mit Einigen hat SWI swissinfo.ch ein Jahr nach der Entschuldigung des Bundesrats gesprochen. Entstanden sind eindrückliche Berichte darüber, was die Menschen durchgemacht haben.

Und was ist mit den Fällen nach 1981?

Samanta, eine Frau aus dem Tessin, berichtet im italienischsprachigen Radio RSI über ihre Geschichte, über das Leid und den Missbrauch, den sie während einer Zwangsmassnahme in den 1990er Jahren erlitten hat. Sie kämpft dafür, dass die Behörden das, was sie durchmachen musste, anerkennen. Denn nach der aktuellen Gesetzgebung sind Opfer nach 1981 von jeglicher Entschädigung ausgeschlossen, da die Zwangsmassnahmen in der Schweiz laut Gesetz «offiziell» in diesem Jahr endeten.

Eine Ausstellung über die Schicksale der Pflegekinder

Zwischen 2020 und 2021 warf die Ausstellung «Les Oubliés du Bonheur» im Rätischen Museum in Chur ein Licht auf dieses dunkle Kapitel Schweizer Geschichte. Die Tagesschau des rätoromanischen Medienhauses RTR hat diese Ausstellung besucht.

Weitere Informationen

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Das Nationale Forschungsprogramm «Fürsorgerische Zwangsmassnahmen und ausserfamiliäre Platzierungen» (NFP 76) hat drei Schwerpunkte:

  1. Die Merkmale, Mechanismen und Auswirkungen der schweizerischen Fürsorgepolitik und -praxis zu analysieren
  2. Die möglichen Ursachen von Fürsorgepraktiken zu identifizieren, die die Integrität der betroffenen Personen verletzen oder schützen, und zwar im Spannungsfeld zwischen sozialer Ordnung und individuellen Rechten
  3. Die Auswirkungen von Fürsorgepraktiken auf die betroffenen Personen zu untersuchen.

Der Schlussbericht des NFP 76 besteht aus drei Bänden, die online verfügbar sind und kostenlos heruntergeladen werden können:

Rendez-vous, 16.05.2024, 12:30 Uhr

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