In diesen Zeiten des technologie-getriebenen Umbruchs gab es bis vor kurzem einen Fixpunkt: Die Europäische Union war weltweit eine der wenigen Institutionen, die sich nicht scheuten, grossen Technologieunternehmen mit strengen Gesetzen zum Schutz ihrer Bürgerinnen und Bürger die Stirn zu bieten.
Diese Gewissheit zerbröckelte, als die EU-Kommission Mitte November einen Plan zur Vereinfachung einiger ihrer digitalen Vorschriften ankündigte. Dabei geht es unter anderem um die Normen, die das Recht auf Privatsphäre sowie den Umgang mit KI-Tools regeln: die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und das Gesetz über künstliche Intelligenz (KI-Gesetz).
Mit der Reform will die EU-Kommission bürokratische Vorschriften lockern und Verfahren verschlanken und damit den Unternehmen das Leben erleichtern.
Kritikerinnen und Kritiker befürchten jedoch eine Schwächung der Datenschutz- und Sicherheitsgarantien von KI-Systemen. Der österreichische Anwalt und Aktivist Maximilian Schrems spricht vom «grössten Angriff auf die digitalen Rechte der europäischen Bürger in den letzten Jahren».
USA drängten auf Lockerung
Besonders umstritten ist der Vorschlag, einen Teil der Regeln für Hochrisiko-KI-Systeme bis 2027 aufzuschieben. Diese Systeme werden beispielsweise für die biometrische Identifizierung und die Überprüfung von Bewerbungen eingesetzt.
Kritische Stimmen sehen darin den ersten Schritt zur Abschaffung eines Gesetzes, das vor allem grosse US-Unternehmen betrifft und gegen das sich die Trump-Regierung ausgesprochen hat. Die Lockerung erfolgt zu einem Zeitpunkt, zu dem Brüssel mit der US-Regierung über die Senkung der Zölle auf Produkten wie Wein, Spirituosen, Stahl und Aluminium verhandelt, die für die europäische Wirtschaft wichtig sind.
US-Handelsminister Howard Lutnick sagte öffentlich, ein vorteilhaftes Zoll-Abkommen sei von der Lockerung technologischer Vorschriften abhängig.
Unternehmen jubeln
Gleichzeitig trägt die EU auch den Appellen Dutzender europäischer Unternehmen Rechnung, die sich über die Schwierigkeiten bei der Anpassung an die neuen KI-Vorschriften besorgt gezeigt haben. Unternehmen wie Airbus und Lufthansa, zu der auch die Fluggesellschaft Swiss gehört, forderten die EU in einem offenen Brief auf, die Umsetzung des Gesetzes für zwei Jahre auszusetzen.
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Auch Schweizer Unternehmen und IT-Fachleute hatten vor den erheblichen Kosten gewarnt, die mit der Umsetzung der EU-Vorschriften verbunden seien. Aus diesem Grund begrüssten führende Persönlichkeiten der Schweizer KI-Branche wie Marcel Salathé, Co-Direktor des Zentrums für KI an der ETH Lausanne, den vereinfachten europäischen Gesetzgebungsplan.
«Ich freue mich, dass die EU ihre Daten- und KI-Vorschriften überdenkt», schrieb Salathé auf der Plattform Linkedin. Er bezeichnete die DSGVO als «übermässig belastend» und das KI-Gesetz als «voreiliges nebulöses Gebilde».