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Ende der Stigmatisierung? Durchbruch in Long-Covid-Forschung: Diagnose soll möglich werden

Bis jetzt konnte Long Covid nicht diagnostiziert werden. Das könnte sich nun ändern – dank Schweizer Forschenden.

Susanne Ryser ist 51 Jahre alt, kaufmännische Angestellte und zurzeit arbeitsunfähig: «Wenn ich etwas erklären will, fehlen mir die Worte», schildert sie ihre Symptome. «Auch mit dem Lesen habe ich Mühe.» Ryser hat Long Covid. Seit mehr als eineinhalb Jahren leidet sie unter den Beschwerden. Noch immer hat sie Atemnot und starke Gelenkschmerzen. Und sobald sie sich zu viel zumute, reagiere ihr Körper. «Man kann es sich vorstellen wie eine Batterie, die nicht mehr ganz auflädt», sagt Ryser.

Long Covid ist ein sogenanntes Syndrom: keine klar identifizierbare Krankheit, sondern eine Kombination verschiedener Symptome. Diejenigen, die Ryser für sich beschreibt, sind gemäss WHO die häufigsten, nämlich Erschöpfung, Atemnot und Konzentrationsschwierigkeiten.

Frau in gebückter Haltung
Legende: Long Covid gibt der Wissenschaft noch immer Rätsel auf. Doch allmählich kommt die Forschung den Mechanismen der Krankheit auf die Spur: Mitverantwortlich ist ein Teil der menschlichen Immunabwehr. Das haben Forscherinnen und Forscher der Universität Zürich und des Universitätsspitals Zürich herausgefunden. Keystone/AP/David Goldman

Trotz dieser Definition sei die Krankheit schwer fassbar, sagt die Neurologin Margret Hund-Georgiadis von der Klinik Rehab Basel: «Das Krankheitsbild lässt sich nur indirekt herleiten – und genau das macht es so fürchterlich schwierig.» Denn, so die Chefärztin: «Es gibt keinen einzigen Laborparameter, der besagt: Du hast Long Covid oder nicht.»

Forschung an Diagnoseverfahren

Das könnte sich jetzt ändern. Und zwar dank einer Zürcher Langzeituntersuchung, die am Donnerstag im renommierten Fachmagazin Science erschienen ist . Forschende der Klinik für Immunologie des Universitätsspitals Zürich haben mögliche Biomarker identifiziert, mit denen Long Covid künftig diagnostiziert werden soll.

Uns lag die Forschungsarbeit sehr am Herzen, weil Long-Covid-Patienten oft stigmatisiert werden. Man kann nicht beweisen, dass sie krank sind, weil man nichts messen kann.
Autor: Carlo Cervia-Hasler Postdoktorand am Universitätsspital Zürich

Erstautor der Zürcher Studie ist der Postdoktorand Carlo Cervia-Hasler. «Uns lag die Forschungsarbeit sehr am Herzen, weil Long-Covid-Patienten oft stigmatisiert werden», sagt der Postdoktorant. «Man kann nicht beweisen, dass sie krank sind, weil man nichts messen kann.»

Überaktives «Komplementsystem» bei Betroffenen

Das Forschungsteam untersuchte Blutproben von 113 Covid-19-Infizierten und 39 gesunden Personen – über ein Jahr im Abstand von jeweils sechs Monaten. 40 der Infizierten hatten nach sechs Monaten immer noch Beschwerden, also Long Covid. Dabei untersuchten die Forschenden über 7000 Proteine im Blut der Patienten und verglichen diese mit den Blutproben der gesunden Personen. «Es war sehr eindrücklich, als wir die Daten ausgewertet haben. Denn bei den Long-Covid-Patienten war ein Teil des Immunsystems sehr stark verändert.» Nämlich das sogenannte Komplementsystem.

Bestätigung des Forschungserfolgs steht noch aus

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Nicht an der Studie beteiligte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Ausland beurteilen die Zürcher Untersuchung als spannend und wichtig, um die Mechanismen von Long Covid zu verstehen. Doch die Teilnehmerzahl mit 40 Betroffenen sei für eindeutige Aussagen noch zu gering. Tatsächlich wollen die Zürcher Forschenden ihre Ergebnisse nun an einer grösseren Patientengruppe überprüfen.

Das Komplementsystem sei zwar wenig bekannt, erklärt Cervia, jedoch ein wichtiger Teil des angeborenen Immunsystems. Es hilft normalerweise, Infektionen zu bekämpfen oder beschädigte Körperzellen zu beseitigen. Bei den Long-Covid-Patienten war das Komplementsystem hingegen überaktiv. Dann könne es Schäden anrichten, wie Cervia ausführt: «Wir fanden Zeichen von Schäden bei roten Blutkörperchen, Blutplättchen und Gefässwandzellen von Blutgefässen.» Der Forscher betont: «Diese Schäden konnten wir nur sehen, wenn die Patienten aktive Symptome hatten.»

Bei den Genesenen hingegen war das Blutbild nach sechs Monaten normal. Ihre Erkenntnisse wollen die Forscher nun nutzen, um einen diagnostischen Test für Long Covid zu entwickeln. «Mittels einer Blutentnahme würde man dann die Proteine messen, die Teil des Komplementsystems sind. Zudem würde man auch einen Teil der Folgeschäden anschauen», sagt Cervia.

Rendez-vous, 19.01.2024, 12:30 Uhr;kobt

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