Rund 200'000 Menschen in der Schweiz leben mit ADHS. Anlässlich des Welt-ADHS-Tags letzten Sonntag haben zwei Expertinnen die Fragen aus der Community beantwortet. Das sind die wichtigsten Erkenntnisse.
Besser mit ADHS leben
Medikamente können ADHS-Symptome lindern. Doch laut Psychotherapeutin Clara Overkott ist eine therapeutische Begleitung ebenso wichtig. Sie helfe Betroffenen, sich besser kennenzulernen und gezielter die Symptome anzugehen.
Dieser Ansicht ist auch Anita Jung Strub, Sozialpädagogin und Leiterin der ADHS-Fachstelle Elpos Schweiz. Eine Therapie könne zwar Symptome lindern, entscheidend sei es aber, Strategien zu entwickeln und sich hilfreiche Verhaltensweisen anzutrainieren. Viele Betroffene hätten besondere Stärken wie Offenheit, Spontaneität, Flexibilität, Lösungsorientierung und Kreativität. Wer diese Fähigkeiten als persönlichen Vorteil erkenne, könne gut mit der Erkrankung leben und davon profitieren.
Die richtige Kommunikation von ADHS
Wie kommuniziert man eine ADHS-Diagnose am besten? Overkott empfiehlt Betroffenen, sich vorab zwei Fragen zu stellen: «Weshalb möchte ich die Diagnose kommunizieren? Und welche Vor- und Nachteile könnte das haben?» Ein Vorteil sei, mehr Verständnis für die eigene Situation zu schaffen. Grundsätzlich, so Overkott, sei es sinnvoll, Diagnosen in einem ruhigen Gespräch mit offener, ehrlicher und empathischer Grundhaltung mitzuteilen. Zudem könne man signalisieren, dass das Gespräch nicht leichtfällt, «es aber wichtig ist, ehrlich zu sein und dies zu kommunizieren».
Tipps für Angehörige
Wie können Angehörige Menschen mit ADHS im Alltag unterstützen? Anita Jung Strub rät: «Am besten helfen Sie, indem Sie nicht ständig kritisieren, wenn etwas schiefgeht.» Statt zu verurteilen, sei Offenheit wichtig – gleichzeitig solle man aber klar kommunizieren, was man nicht möchte und wo Grenzen liegen. Da ADHS-Betroffene oft viel vergessen, könnten kleine Erinnerungszettel oder praktische Hilfe bei Aufgaben wertvoll sein. Grossartig wirke auch Humor: «Lachen Sie über Verpasstes!» Diese positive Haltung und das bewusste Engagement der Angehörigen seien eine enorme Unterstützung.
ADHS im Berufsleben
Im Berufsleben stelle ADHS oft grosse Herausforderungen dar. Vorgesetzte unterschätzten meist, welche enorme Anpassungsleistung Betroffene täglich erbrächten, betont Anita Jung Strub. Probleme träten besonders in reizintensiven Umgebungen wie Grossraumbüros oder bei monotonen Aufgaben auf. Ideal sei ein selbstbestimmtes Arbeiten mit flexibler Zeiteinteilung und kurzen Pausen. Entscheidend sei auch die Aufklärung über ADHS: «Spezialisierte Coaches können durch Berufsbegleitung oder Arbeitgebergespräche unterstützen.» Manchmal genüge bereits eine Fachperson für eine optimierende Arbeitsplatzbegehung.
ADHS über die Lebensphasen hinweg
Verändern sich ADHS-Symptome im Laufe des Lebens? Clara Overkott erklärt: Ja – besonders die emotionale Impulsivität sei bei Kindern ausgeprägter. «Kinder denken viel emotionaler und können nicht gross logische Schlussfolgerungen ziehen.» Erwachsene entwickeln hingegen Kompensationsstrategien: Vergesslichkeit werde zum Beispiel durch Einkaufslisten kompensiert. Bei Kindern fallen solche Defizite stärker auf, weil sie dies erst lernen müssen. Zwar nehmen Hyperaktivität und Impulsivität altersbedingt ab, doch therapeutisch erlernte Strategien seien entscheidend für diesen Wandel.