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Antworten auf Ihre Fragen Wird die Schweizer Jugend künftig noch radikaler?

Ein Jude in Zürich lebensgefährlich verletzt, Festnahmen in den Kantonen Schaffhausen, Thurgau, Genf, Zürich und Waadt: Alle sind nach ersten Erkenntnissen islamistisch radikalisiert und zwischen 14 und 18 Jahren alt. Hier beantwortet Daniel Glaus, Fachredaktor Extremismus, die fünf wichtigsten Fragen der SRF-Community:

Daniel Glaus

Redaktor SRF

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Daniel Glaus ist seit 2015 Inlandredaktor beim Schweizer Fernsehen, zu seinen Dossiers zählen Extremismus und Terrorismus. Zuvor arbeitete der Investigativjournalist beim Recherchedesk von «SonntagsZeitung» und «Le Matin Dimanche».

Gibt es wirklich mehr radikale Jugendliche in der Schweiz?

Der Direktor des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) sagt, die Schweiz habe «überdurchschnittlich viele Fälle radikalisierter Jugendlicher». Andere, wie der forensische Psychologe Jérome Endrass, gehen aktuell nicht davon aus, dass die Schweiz stärker von der Gefahr extremistischer Gewalt betroffen wäre im Vergleich zum umliegenden Ausland.

Ab wann gilt ein Jugendlicher als radikal?

Was eine «radikale» Einstellung ist, ist in der Schweiz nicht gesetzlich geregelt. Strafbar sind Gewaltaufrufe oder Diskriminierungen oder Unterstützung von Terrorgruppen wie dem IS. In der Forschung wird Radikalisierung als Prozess hin zu extremistischen Einstellungen beschrieben, die Demokratie und Rechtsstaat ablehnen. Radikalisierung beginnt meist viel früher als mit der Unterstützung einer Terrororganisation – oft beginnt es zunächst harmlos wirkend, vielleicht mit starkem Interesse an Nachrichten über Kriege und Gewalt. Alarmzeichen für eine Radikalisierung können die Unterteilung der Mitmenschen in gut oder böse sein, eine soziale Isolierung oder plötzliche Verhaltensänderungen.

Extremismus erkennen und handeln

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In der Schweiz gibt es verschiedene Anlaufstellen , die Eltern, Lehrerinnen und Lehrer oder Mitschülerinnen und Mitschüler beraten können.

Der Kanton Zürich hat eine Herleitung , was als radikal oder extremistisch gilt und wie man handeln kann:

Bei Hinweisen oder dem Verdacht, jemand könnte ein Verbrechen begehen, umgehend die Polizei alarmieren: 117.

Viele Polizeikorps verfügen über sogenannte Bedrohungsmanagements, die eine erste Einschätzung zur Gefährlichkeit einer Person vornehmen können.

Wie gelingt die Deradikalisierung von Jugendlichen?

Minderjährige sollen nicht mehr straffällig werden und sozial wie wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen. Die psychologischen Therapien basieren auf Erfahrungen mit jugendlichen Gewalttätern. Fachleute sehen mehrere Faktoren als zentral an: Radikalisierte aus einem negativen Umfeld herauszuholen, sie in ihrer Persönlichkeit zu stärken, dass sie eigenständig entscheiden können, mit Frust umzugehen wissen, sowie Berufs- und Lebensperspektiven entwickeln. Wichtig scheint: rasch einschreiten, notfalls zuerst mit der Polizei. Eine anschliessende Intervention muss individuell ausgestaltet werden.

Was wird in der Schweiz gemacht, um Jugendliche zu deradikalisieren?

Die psychologischen und sozialen Massnahmen werden im Rahmen eines Jugendstrafverfahrens angeordnet, das kann eine Einweisung in eine geschlossene Institution bedeuten, in der nach strengen Regeln Schulunterricht stattfindet oder eine Berufslehre startet und intensiv mit den Jugendlichen therapeutisch gearbeitet wird. Weiter gibt es polizeiliche Massnahmen und Präventionsprogramme.

Was die Behörden unternehmen

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Bei Personen, die als gefährlich gelten, können die Behörden sogenannt polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) anordnen. Diese beginnen mit der Pflicht zur Teilnahme an Gesprächen, beispielsweise mit Gewaltschutz-Spezialistinnen oder -Spezialisten der Polizei, dies bereits für ab 12-Jährige. Weiter sind Kontaktverbote möglich, oder Einschränkung des Bewegungsradius für ab 15-Jährige bis hin zu Hausarrest; bei Ausländern die Ausschaffungshaft.

Um früher einzuschreiten, gibt es Präventionsprogramme, ein nationaler Aktionsplan macht Vorschläge, wie dies organisiert werden kann – die Kantone und Gemeinden entscheiden selbst. An manchen Orten werden Lehrerinnen und Lehrern weitergebildet und Hilfestellungen angeboten. Der Bund und Kantone unterstützen Vereine, die mit Sozialarbeit Prävention leisten.

Wird die Schweizer Jugend künftig noch radikaler?

Eine neue Studie zeigt, dass ein Teil negative Einstellungen gegenüber Minderheiten hat – Tendenz steigend: 9.9 Prozent der Befragten stimmen muslimfeindlichen Aussagen zu (2022: 6.5 Prozent). Ausländerfeindliche Einstellungen äussern 25.8 Prozent (2022: 15.7 Prozent). Und antisemitischen Aussagen (Judenhass) stimmen 7.6 Prozent zu (2022: 5.1 Prozent). Die Resultate einer Repräsentativumfrage wurden diese Woche von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften veröffentlicht.

Tagesschau, 25.08.2024, 19:30 Uhr ; 

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