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Earth Overshoot Day Ab jetzt leben wir alle auf Pump

Am 24. Juli ist der «Earth Overshoot Day». Das heisst: Wir haben die erneuerbaren Ressourcen aufgebraucht, die der Planet jährlich zur Verfügung stellt. Nun stellt sich die Frage: Wie würde ein nachhaltiges und gutes Leben überhaupt aussehen?

In einem Haus in Winterthur leben seit Kurzem zwölf Parteien. Alle auf kleinem Raum. «Microliving» heisst das Konzept.

Auch das Ehepaar Grace und Jay wohnen hier auf 40 Quadratmetern – und fühlen sich wohl: «Es ist ein kleines Apartment, aber wir mögen es», sagt Grace. In Korea hätten sie bereits in kleinen Wohnungen gewohnt. Sogar noch kleineren, wie Grace lachend erzählt: «Dieser Ort hier ist für mich grösser als ich es gewohnt bin. Ich mag es sehr, hier zu wohnen.»

An Grace und Jay müssten wir alle uns wohl ein Beispiel nehmen, um unseren Lebensraum nicht zu gefährden. Denn seit heute Donnerstag sind die weltweiten Ressourcen aufgebraucht, die der Planet uns dieses Jahr zur Verfügung stellt.

Diagramm der Overshoot Days 2025 für verschiedene Länder weltweit.
Legende: Am höchsten ist der Ressourcenverbrauch in Katar. Am tiefsten in Uruguay. Die Schweiz ist mit dem 7. Mai im vorderen Mittelfeld. Global Footprint Network

Das heisst, ab heute beanspruchen wir Menschen für das übrige Jahr mehr Acker- und Weideland, Fischgründe und Wald als rechnerisch zur Verfügung stehen. Zugleich wird mehr CO₂ ausgestossen, als Wälder und Ozeane aufnehmen können.

Wenn die gesamte Menschheit so leben würde wie die Schweizerinnen und Schweizer, wäre das bereits am 7. Mai der Fall gewesen. Diesen sogenannten Erdüberlastungstag («Earth Overshoot Day») berechnet die Organisation Global Footprint Network jährlich.

Wie der Erdüberlastungstag errechnet wird

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Den Erdüberlastungstag errechnet das Global Footprint Network, in dem es analysiert, wie viel standardisierte Flächeneinheiten etwa für Essen, Holz, die Aufnahme des menschengemachten CO₂ sowie Strassen und Häuser der Menschen nötig sind.

Es bezieht zudem im Gegenzug die Kapazität der Erde ein, Ressourcen aufzubauen sowie Müll und Emissionen aufzunehmen. Ähnlich wie bei Schätzungen des Bruttoinlandprodukts sind diese Daten nicht vollkommen präzise. Die früheren Ergebnisse werden jährlich mit den neuesten Daten und weiteren Verfeinerungen aktualisiert, sodass sich die Erdüberlastungstage der vergangenen Jahre nachträglich verschieben können.

Die Wissenschaft hat sich nun der Frage angenommen, ob das überhaupt möglich wäre, dass alle Menschen gut und gleichzeitig ökologisch leben. Am Anfang ihrer Forschung stand die Frage: Was braucht es für ein gutes Leben?

15 Quadratmeter Lebensraum – pro Person

Hauke Schlesier ist Forscher im Labor «Technologie und Gesellschaft» der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) und hat sich mit dieser Frage auseinandergesetzt.

«Wir haben uns viele verschiedene Studien angeschaut, die einen angemessenen Lebensstandard untersucht haben und die kommen auf eine Spanne von 10 bis 30 Quadratmeter pro Person. Und viele Studien nutzen 15 Quadratmeter pro Person als angemessenen Lebensstandard», sagt Schlesier.

Diesen Wert nutzt Schlesier für seine Berechnungen. Er will klären, ob unser Planet genug Ressourcen hat, damit alle 8 Milliarden Menschen ihre Grundbedürfnisse stillen und somit gut leben können.

Was kann ich heute schon tun?

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Laut SRF-Wissenschaftsredaktor Christian von Burg kann bereits heute jeder einzelne darauf schauen, den Ressourcenverbrauch zu senken.

Dazu gehört: «Möglichst in der Nähe in die Ferien zu reisen und nicht weit zu fliegen, wenig Fleisch zu essen, alle Reste im Kühlschrank zu verwerten, Kleider auszutragen, statt schnell neu zu kaufen und wenn möglich ÖV statt Auto zu fahren», so von Burg.

Alles, was es dafür braucht, hat er in einen Warenkorb gepackt: neben dem Dach über dem Kopf auch Nahrung, Mobilität, Kleidung. Wie beim Wohnraum hat er zusammen mit anderen Forschenden für alles konkrete Mengen kalkuliert.

Für uns in der westlichen Welt bedeutet das: Wir müssten uns massiv einschränken.

Weniger Wasser, weniger neue Kleider

Aktuell lebt jeder Schweizer und jede Schweizerin im Schnitt auf 50 Quadratmeter, braucht 140 Liter Wasser pro Tag, legt 20’000 Kilometer im Jahr motorisiert zurück und kauft 18 Kilogramm Kleider.

Mit dem Warenkorb stünde uns wesentlich weniger zur Verfügung: neben den 15 Quadratmetern Wohnraum nur noch 50 Liter Wasser täglich, 8500 – vornehmlich mit dem ÖV – motorisierte Kilometer und 2.6 Kilo Kleider jährlich.

Grafik zu Lebensstandard-Warenkorb mit Symbolen für Wohnfläche, Fahrstrecke, Wasserverbrauch und Gewicht.
Legende: Um den Ressourcenverbrauch in den Griff zu bekommen, müssen sich die Menschen im Westen wohl oder übel einschränken. SRF

Was für uns eine massive Einschränkung wäre, wäre aber für viele Menschen in anderen Teilen der Welt ein Gewinn. Ihnen ginge es besser als heute.

Und im Vergleich zu heute würde der weltweite Ressourcenverbrauch mit dem «Warenkorb für alle» abnehmen. Die CO₂-Emissionen würden sinken, es würden weniger Arten sterben und weniger Stickstoff und Landfläche genutzt werden.

Energiewende muss kommen

Aber: Um innerhalb der planetaren Grenzen zu leben, wäre das noch immer nicht genug. Hauke Schlesier: «Was wir zusätzlich brauchen, ist eine Transformation unserer Versorgungssysteme. Der erste Hebel ist die Abkehr von Kohle, Öl und Gas.»

Der Zweite: keine neuen Flächen für die Landwirtschaft sowie eine vorwiegend pflanzliche Ernährung.

Grafik des Earth Overshoot Day von 1971 bis 2025 mit nach hinten rückenden Daten.
Legende: Der «Earth Overshoot Day» am 24. Juli bedeutet, dass die Menschheit derzeit die Natur 1.8-mal schneller verbraucht, als die Ökosysteme der Erde sich regenerieren können. Global Footprint Network

Aber dann reicht es. Die Energiewende lässt den Ressourcenverbrauch deutlich schrumpfen. Und die Veränderungen in der Landwirtschaft drücken ihn unter die planetare Grenze.

Das heisst: Unser Planet gibt für 8 Milliarden Menschen genug her. Laut Studie könnten sogar 10.4 Milliarden gut und ökologisch auf ihm leben.

So kann der Erdüberlastungstag verschoben werden

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Das Global Footprint Network hat mehrere Massnahmen analysiert, die den Erdüberlastungstag jeweils um eine berechnete Zeit nach hinten verschieben könnten, wie beispielsweise:

  • Erhöhter CO₂-Preis von etwa 90 Franken pro Tonne → 63 Tage
  • Erneuerbare Energien ausbauen, sodass 75 Prozent des Stroms damit erzeugt werden (derzeit weltweit 39 Prozent) → 26 Tage
  • Autofahrten um 50 Prozent reduzieren → 13 Tage
  • Die Verschwendung von Lebensmitteln halbieren → 13 Tage

Bei der gemeinschaftlich genutzten Infrastruktur, wie etwa beim Bildungssystem, müssten wir überhaupt keine Abstriche machen. Auch beim Gesundheitswesen nicht. All das verbraucht im Vergleich wenig Ressourcen.

Gleichzeitig muss man hier auch die positiven Entwicklungen der letzten Jahre erwähnen. Wissenschaftsredaktor von Burg nennt ein paar: «In der Schweiz sind die CO₂-Emissionen beim Heizen und in der Industrie deutlich gesunken. Weltweit gesehen nimmt der Ausbau der erneuerbaren Energien wie Solar- oder Windstrom rasant zu. Ausserdem setzt sich die Elektromobilität langsam durch. Zu langsam im Moment zwar noch, aber es tut sich was.»

Grace und Jay mieten statt kaufen

Bei Grace und Jays Wohnform versucht man im Kleinen ökologischer zu leben: kleine Fläche, grüne Energie. Dazu gehört auch, dass die Bewohnerinnen und Bewohner Dinge mieten, statt sie zu besitzen. Küchenmaschine, E-Auto, Staubsauger.

«Am häufigsten nutzen wir den Staubsauger. Wir haben uns überlegt, wie oft wir ihn nutzen und haben das durchgerechnet. Es lohnt sich. Wir mieten ihn, anstatt einen zu kaufen.»

Es geht hier um Verzicht, der sich aber nicht als solcher anfühlen soll. Im Gegenteil. Weniger ist hier mehr.

SRF 3, 24.7.2025, 6:20 Uhr ; 

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