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Löst KI bald die Religion ab? «Die KI taugt durchaus zu einem personalen Gott»

Die Philosophin, Theologin und Autorin Claudia Paganini sieht im Umgang der Menschen mit künstlicher Intelligenz Parallelen mit dem Religiösen.

Claudia Paganini

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Claudia Paganini ist Philosophin, Theologin und Medienethikerin. In ihrem neuen Buch bezeichnet sie die KI als «der neue Gott». Paganini lehrt als Privatdozentin an der Uni Innsbruck.

SRF News: Wie können hoch technisierte KI und Transzendenz oder Sinnsuche im Zusammenhang mit Gott dasselbe sein?

Claudia Paganini: Ich mache in meinem Buch keine Aussagen darüber, wie Götter sind – sondern es sind nur Aussagen darüber, wie Menschen sich Götter vorstellen, sie imaginieren. Es geht also um die menschliche Seite. Und da kann man all die göttlichen Attribute sehr wohl auch der KI zusprechen. Ich sage also nicht, KI sei allmächtig – ich sage bloss, dass immer mehr Menschen das einer KI zutrauen und wie sich das zeigt.

Eines der Gott zugeschriebenen Attribute ist Gerechtigkeit. Wie kann eine KI gerecht sein?

Es lässt sich beobachten, dass wir der KI zutrauen, gerecht zu sein. So führen etwa immer mehr Firmen ihre Bewerbungsprozesse KI-unterstützt durch. Da geht man offensichtlich davon aus, dass KI die besseren Entscheidungen trifft.

Es gibt die Hoffnung, dass KI-Systeme helfen würden, Kriege abzuschaffen.

Viele Menschen vertrauen mittlerweile auch lieber auf die KI, wenn es um medizinische Therapievorschläge geht. Es gibt auch die Hoffnung, dass KI-Systeme helfen würden, die Zielkonflikte auf der Erde stark zu reduzieren und Kriege abzuschaffen. Das sind schon Vorstellungen von Gerechtigkeit – vom Aufrechterhalten oder Wiederherstellen einer sinnvollen Ordnung. Etwas, das man klassischerweise den Göttern zugesprochen hat.

Viele Befragte geben an, sich lieber mit ChatGPT oder Claude zu unterhalten als mit einem guten Freund.

Was für ein Gott ist denn die künstliche Intelligenz?

Das kommt darauf an, welchen Gott wir sie sein lassen wollen. Die KI taugt zu einem personalen Gott, denn Menschen haben das Gefühl, dass sie mit der KI Beziehungen eingehen können, dass die KI sich wirklich für sie interessiert. Viele Befragte geben an, sich lieber mit ChatGPT oder Claude zu unterhalten als mit einem guten Freund, einem Psychotherapeuten oder einer Psychotherapeutin.

Wird die KI also die alten Götter ablösen?

Das zu beantworten, getraue ich mich nicht. Es ist allerdings ein Stück weit naiv zu denken, dass das Christentum die erste Religion wäre, die nicht durch eine andere abgelöst wird. In der Religionsgeschichte war es schon immer so, dass Religionen durch andere abgelöst wurden. Und wenn man sieht, wie die KI auf die spezifischen Bedürfnisse unserer Zeit reagiert – stetige Verfügbarkeit, unmittelbare spirituelle Antworten auf Knopfdruck in Echtzeit –, könnte in der Tat ein Ablösungsprozess begonnen haben.

KI hat ja auch Risiken: Es gibt sogar die Befürchtung, dass KI so gefährlich wie ein Atomkrieg oder eine Pandemie sein oder sogar die Menschheit auslöschen könnte. Ist die KI also ein böser, strafender Gott?

Die Angst vor dem strafenden, die Menschheit potenziell vernichtenden Gott ist grundsätzlich etwas typisch Religiöses. Und es zeigt sich: Je mehr eine Religion an Bedeutung verliert, desto kuscheliger, sanfter und weniger böse oder gefährlich werden die Götter. Das kann man im Christentum feststellen: Inzwischen glauben wir an einen gütigen und lieben Gott – ein Phänomen, das vor allem in den letzten paar Generationen zu beobachten ist.

Die Angst vor der Vernichtung durch die Gottheit ist typisch für das Erstarken einer Religion.

Andererseits ist typisch für das Erstarken einer Religion diese Angst vor der Vernichtung durch die Gottheit. Das findet man auch bei der künstlichen Intelligenz: Sogar Entwicklerinnen oder Leute, die viel Geld in KI investieren, warnen davor und fordern teils sogar, dass man die Forschung stoppen müsse, weil sonst die Vernichtung der Menschheit drohe. Das sind schon sehr tiefe religiöse Bilder und Vorstellungen.

Das Gespräch führte Markus Hofmann.

Echo der Zeit, 24.11.2025, 18:00 Uhr ; 

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