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Paracetamol und Autismus Expertin: «Trumps Paracetamol-Warnung ist fertiger Humbug»

Dafalgan und Panadol – beide mit Paracetamol – sollen laut Donald Trump bei Einnahme von Schwangeren Autismus beim Kind verursachen. Was die Wissenschaft dazu sagt.

Worum es geht: US-Präsident Donald Trump hat diese Woche behauptet, die Einnahme des Schmerzmittels Paracetamol während der Schwangerschaft führe zu einem «sehr erhöhten Risiko», dass das Kind Autismus entwickle. Flankiert von seinem Gesundheitsminister Robert F. Kennedy riet Trump Schwangeren vom Gebrauch des Mittels ab. Paracetamol ist indes eines der wenigen Schmerzmittel, die für Schwangere als unbedenklich gelten.

Wenn man einmalig ein Schmerzmittel nimmt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass da überhaupt ein Schaden entsteht.
Autor: Christine Freitag Professorin für Kinder- und Jugendpsychiatrie

Das sagt die Wissenschaft: Fachleute widersprechen Trumps Behauptung entschieden. «Trump hat nicht recht mit seiner Aussage», sagt Christine Freitag, Professorin für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Unispital Frankfurt. Die Behauptung sei nicht belegt. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) teilt mit, es gebe keine schlüssigen Beweise für eine Verbindung zwischen Paracetamol und Autismus. «Trumps Paracetamol-Warnung ist fertiger Humbug», sagt Freitag.

Hand wiegt weisse Paracetamol-Tabletten auf Laborwaage.
Legende: Aktuell werden gut 50 Prozent des weltweit produzierten Paracetamols in China produziert. 30 Prozent stammen aus Indien, nur gerade 10 Prozent des Wirkstoffs kommen aus den USA. (Quelle: Global Paracetamol Supply, Demand and Key Producers, 2024-2030) Reuters/Amit Dave

So wirkt Paracetamol für Schwangere und ihren Fötus: «Grundsätzlich ist es sinnvoll, in der Schwangerschaft möglichst keine Medikamente zu nehmen», sagt die Professorin für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Es gebe zwar Studien, die einen Zusammenhang zwischen Paracetamol und Entwicklungsstörungen nahelegen. Laut Christine Freitag handelt es sich dabei aber meist um Tiermodelle oder um Fälle mit sehr hoher und langer Dosierung über Wochen. Ein Risiko sei nicht quantifizierbar. «Wenn man einmalig ein Schmerzmittel nimmt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass da überhaupt ein Schaden entsteht», betont Freitag. Zudem hätten alternative Schmerzmittel oft mehr unerwünschte Wirkungen.

Pränatale Umwelt-Risikofaktoren für Autismus

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  • Chemische Substanzen in der Umwelt, im Wasser, in der Luft, z.B. Feinstaub und die im Feinstaub enthaltenen Mikropartikel.
  • Virusinfektionen während der Schwangerschaft.
  • Diabetes mellitus und Adipositas, auch wenn die exakten Mechanismen noch nicht restlos geklärt sind.

Darum können solche Warnung gefährlich sein: Gänzlich auf Paracetamol zu verzichten, kann für das ungeborene Kind gefährlich werden. Edna Grünblatt, Forscherin im Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie am Unispital Zürich, warnt, dass hohes Fieber bei der Mutter Entwicklungsstörungen beim Fötus verursachen kann. Eine erhöhte Temperatur bedeute Stress für die Zellen des Kindes. Es sei daher sinnvoller, das Fieber gezielt zu behandeln, anstatt Risiken für das Kind in Kauf zu nehmen.

Ein Junge sitzt an einem Pult und schreibt in ein Heft.
Legende: Laut Wissenschaft spielen genetische Faktoren die Hauptrolle bei der Entstehung von Autismus. Symbolbild/Getty Images/Johner Images

Das sind die Ursachen von Autismus: Die Wissenschaft ist sich einig, dass genetische Faktoren die Hauptrolle bei der Entstehung von Autismus spielen. Es handle sich um ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Gene, erklärt Freitag. Daneben gibt es pränatale Umweltrisikofaktoren, die das Risiko erhöhen können. Dazu zählen laut Professorin Freitag Virusinfektionen während der Schwangerschaft, Diabetes oder Adipositas der Mutter sowie Umweltgifte wie Feinstaub. Paracetamol gehört nach aktuellem Wissensstand nicht dazu.

Glossar zu diesem Artikel

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  • Paracetamol: Ein weit verbreiteter Wirkstoff, der schmerzlindernd und fiebersenkend wirkt. Er ist in vielen bekannten Medikamenten enthalten.
  • Tylenol, Dafalgan, Panadol: Dies sind Markennamen für Medikamente, die Paracetamol enthalten. Tylenol ist in den USA gebräuchlich, Dafalgan und Panadol in der Schweiz.
  • Autismus-Spektrum-Störung: Eine neurologische Entwicklungsstörung, die sich auf die soziale Interaktion und Kommunikation auswirkt. Die Ausprägungen sind sehr unterschiedlich.
  • Tiermodell: Ein wissenschaftlicher Versuch, bei dem Krankheiten oder die Wirkung von Substanzen an Tieren untersucht werden, um Rückschlüsse auf den Menschen zu ziehen.
  • Quantifizierbar: Bedeutet, dass etwas messbar oder in Zahlen ausdrückbar ist, zum Beispiel die Grösse eines Risikos.
  • Fötus: Die medizinische Bezeichnung für ein ungeborenes Kind im Mutterleib ab der neunten Schwangerschaftswoche.
  • Pränatal: Ein medizinischer Fachbegriff, der «vor der Geburt» bedeutet.
  • Genetische Faktoren: Einflüsse, die durch die Erbanlagen (Gene) bestimmt werden und das Risiko für bestimmte Merkmale oder Krankheiten beeinflussen.
  • Adipositas: Der medizinische Fachbegriff für starkes Übergewicht oder Fettleibigkeit.

Darum steigen die Autismus-Diagnosen: Trump und Kennedy sprechen von einer «Autismus-Epidemie» in den USA. «Die Rate an pränatalen Infektionen ist in den USA mittlerweile so hoch wie in Afrika», sagt Freitag. Das könne bei entsprechenden Prädispositionen zu einem erhöhten Risiko für Autismus und ADHS führen. Tatsächlich steigen diese Diagnoseraten seit Jahren. Aber Fachleute haben noch eine weitere Erklärung: In den USA erhalte man mit einer Autismus-Diagnose deutlich mehr Unterstützung aus dem Gesundheits- und Sozialsystem, sagt Freitag. Dies schaffe einen Anreiz für Eltern, eine solche Diagnose anzustreben. Zudem sei die Öffentlichkeit heute stärker für das Thema sensibilisiert, was zu mehr und früheren Diagnosen führe.

SRF News Plus, 24.9.2025, 16 Uhr ; 

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