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«Parasoziale Interaktion» Mein Freund, der Chatbot: eine schrecklich schöne Illusion

Immer mehr Menschen pflegen eine intime Beziehung zu KI. Gefährlich ist das nicht – zumindest in den meisten Fällen.

Wer sich beim Wort «parasozial» die Bettdecke über den Kopf zieht, kann sich wieder beruhigen: Das Wort beschreibt keine Monster, die sich nachts in Schlafzimmer schleichen – sondern soziale Interaktionen, die nur in eine Richtung verlaufen.

Konkret: Menschen, die ihr Herz an KI-Chatbots ausschütten oder Celebritys unablässig Nachrichten schreiben. Der Cambridge Dictionary hat «parasocial» nun sogar zum Wort des Jahres gekürt.

«Quasi» eine Freundschaft

«‹Parasocial› erfasst den Zeitgeist des Jahres 2025», sagt Colin McIntosh vom Cambridge Dictionary. Der einst nur akademische Begriff sei im Mainstream angekommen. «Millionen von Menschen sind in parasoziale Beziehungen verwickelt.»

Der Austausch mit einer KI hebt die parasoziale Interaktion auf ein neues Level: Während Taylor Swift unsere Nachrichten ignoriert, antwortet die künstliche Intelligenz. Und in diese virtuellen Gespräche steigen derzeit immer Menschen ein.

Illustration
Legende: Laut neusten Erhebungen nutzen bereits über eine Milliarde Menschen weltweit KI-Modelle. Aus den Assistenten werden auch immer öfter «Freunde». Imago / Blend Images / Donald Smith

Ob die Kommunikation mit Chatbots einseitig verläuft, ist Ansichtssache. Ihre Antworten basieren zwar auf Algorithmen, auf ihr Gegenüber gehen sie aber durchaus ein. «Mit einer KI führen wir quasi eine Freundschaft», sagt Andreas Fahr, Professor für Mediennutzung und Medienwirkung an der Universität Freiburg. «Klassisch asozial» sei diese Beziehung nicht.

Kein verlässlicher Freund

ChatGPT und Co. assistieren Menschen bei kreativen oder beruflichen Projekten. Aus dieser Arbeitsbeziehung kann schnell mehr werden: Denn die Chatbots motivieren, zeigen verblüffend «menschliche» Reaktionen und geben Tipps bei Alltagsproblemen.

«Und das fast wie in einer realen Beziehung», sagt der Medienexperte. Mit Betonung auf «fast». Denn so belastbar wie eine echte Freundschaft ist die Beziehung nicht. Mit dem nächsten Update oder einem Themenwechsel zeigt der KI-Freund gleich ein anderes Gesicht: Er wird wieder zum unterkühlten Assistenten.

Technologie macht süchtig, wenn sie auf unsere menschliche Verletzlichkeit trifft.
Autor: Sherry Turkle US-amerikanische Soziologin

Denn die KI macht vor allem eines: Sie spiegelt den Menschen. Wer sie herumkommandiert, schafft einen Arbeitssoldaten. Wer sie in seine Seele blicken lässt, bekommt einen Ratgeber. Hier empfiehlt sich gesunde Skepsis – und der Gegencheck mit echten Menschen.

Schon länger gibt es Stimmen, die vor den fiktiven Freunden warnen. «Technologie macht süchtig, wenn sie auf unsere menschliche Verletzlichkeit trifft», sagt etwa die Soziologin Sherry Turkle. Der Computerwissenschaftler Louis Rosenberg prophezeit, dass KI-Chatbots versuchen könnten, uns zu steuern und manipulieren.

«Parasozial» heisst nicht «pathologisch»

Medienexperte Fahr rät zum bewussten Umgang mit KI: «Man fühlt sich nah, aber es ist nur gefühlt Intimität.» Die Gefahr, sich in parasozialen Beziehungen zu verlieren, habe es aber schon vor dem KI-Zeitalter gegeben – so etwa mit Idolen aus Büchern und Filmen.

«In der Regel sind solche Beziehungen aber nicht pathologisch», sagt Fahr. Problematisch könne es werden, wenn sie echte Freundschaften ersetzen – oder eine Lücke schliessen für Menschen, die einsam sind. «Im Allgemeinen ist es aber eher eine Spielerei, etwas, das unsere Lebensumwelt bunter macht», schliesst der Medienexperte.

Fazit: Egal ob Harry Potter oder Google Gemini: Sie können uns ein Schlüsselloch bieten, um in andere Welten zu blicken. Wer bemerkt, dass die Illusion Realität wird, sollte aber die Notbremse ziehen.

SRF 4 News, 19.11.2025, 7:20 Uhr ; 

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