«Dies ist der nördlichste Teil Norwegens und unterscheidet sich in keiner Weise vom Rest des Landes», betont der norwegische Regierungschef Jonas Gahr Støre gegenüber SRF, nachdem er gemeinsam mit Kronprinz Haakon und Gouverneur Lars Fause am 78. Breitengrad die norwegische Fahne gehisst hat.
Genau wie vor 100 Jahren, als hier erstmals die rot-weiss-blaue Flagge Norwegens gehisst wurde.
Zum 100. Jahrestag der Machtübernahme in der Hocharktis setzt Oslo nun alles daran, den souveränen Anspruch auf das Gebiet zu unterstreichen: Dazu gehörten neben dem symbolträchtigen Hissen der Flagge Kranzniederlegungen, ein Gedenkgottesdienst, Ansprachen und kulturelle Darbietungen.
Dabei hat der norwegische Ministerpräsident zwar recht mit der Aussage, dass Spitzbergen der «nördlichste Teil Norwegens» ist, nicht aber mit dem «nicht-existenten Unterschied zum Rest des Landes».
Wer von Norwegen nach Spitzbergen reist, muss einen gültigen Pass vorweisen. In Spitzbergen gibt es neben der norwegisch geprägten Hauptstadt Longyearbyen auch das russisch-ukrainisch geprägte Bergwerkstädtchen Barentsburg, die frühere sowjetische Siedlung Pyramiden sowie eine polnische Forschungsstation.
Angesichts der zunehmenden geopolitischen Spannungen rund um den Nordpol, wo Russland bereits 2007 die Fahne hisste, und den Ansprüchen von US-Präsident Trump auf Grönland, muss sich Norwegen in Spitzbergen inzwischen neu orientieren. Ein Jahrhundert lang wurde die norwegische Präsenz durch den Betrieb von (oft unrentablen) Kohlenminen begründet.
Das letzte dieser Bergwerke wurde jedoch in diesem Sommer stillgelegt: «Ein äusserst dummer Beschluss», sagt Toralf Iversen gegenüber SRF. Er lebt seit über dreissig Jahren in der nördlichsten Siedlung der Welt und leitete die letzten Kohleabbauten in «norwegischer Regie». Im russischen Nachbarort Barentsburg wird die Mine jedoch weiterbetrieben.
Statt vom strategisch begründeten Kohleabbau lebt Spitzbergen heute vom Tourismus und der Wissenschaft. Über 150'000 Menschen besuchen jedes Jahr diesen nördlichsten bewohnten Flecken Erde: viele davon legen mit Kreuzfahrtschiffen im Hafen von Longyearbyen an.
Dabei übersteigt die Passagieranzahl dieser Schiffe nicht selten die Gesamtbevölkerungszahl der Inselgruppe von knapp 3000 Menschen.
Daneben sind Arktis-Forschende aus über 60 Staaten in Spitzbergen präsent, manche davon aus der Schweiz. Auch deshalb beschloss Bern im Jahre 2021 als erstes Land neben Russland, in Spitzbergen eine diplomatische Vertretung zu errichten.
Wie der norwegische Anspruch auf Spitzbergen angesichts der zunehmenden Begehrlichkeiten von Grossmächten wie den USA, Russland und China aufrechterhalten werden kann, ist eine offene Frage.
Oslo setzt zum 100-Jahre-Jubiläum rhetorisch ganz auf die nationale Karte: «Wir wollen hier mehr norwegische Familien sehen», sagt Ministerpräsident Støre, der bei seinem Besuch ein stärkeres finanzielles Engagement Oslos ankündigte.
In den letzten Jahren wurden die Rechte der nicht-norwegischen Bevölkerung eingeschränkt: Dieser wurde unter anderem das lokale Stimm- und Wahlrecht entzogen.
Doch während der nunmehr stillgelegte Kohlenabbau ganz in norwegischer Hand war, sind sowohl der Tourismus als auch die Wissenschaft vor allem international geprägt.