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20 Jahre danach Tsunami von 2004: «Ich fühlte mich wie in einer Waschmaschine»

Die grösste Tsunami-Katastrophe der Menschheit jährt sich Ende Jahr zum 20. Mal. Am schlimmsten betroffen war Indonesien.

Ein schmaler Gang, schummriges, dunkelblaues Licht. Die Atmosphäre ist gespenstisch. Ein Grollen ertönt, wie Stimmen aus dem Jenseits. Plötzlich spritzt von beiden Seiten Wasser.

Der Eingang des Tsunami-Museums in der Stadt Banda Aceh soll einen Eindruck vermitteln, jenes frühen Morgens am 26. Dezember 2004, damals als die Katastrophe nach Banda Aceh kam. Fast ein Viertel der Stadtbevölkerung kam dabei ums Leben.

Yuswar hat überlebt. Der heute 74-Jährige sitzt in seinem Wohnzimmer und erinnert sich an den schicksalshaften Tag. Er befand sich mit Frau und Kindern in diesem Haus, als es um acht Uhr morgens anfing zu schütteln. Es ist ein gewaltiges Erdbeben. Die Familie rennt sofort aus dem Haus.

Was sie zu diesem Zeitpunkt nicht wissen: Das Beben im Indischen Ozean hat riesige Wellen ausgelöst. Kurz darauf erreichen sie die Stadt und Yuswars Viertel.

«Ich wusste nicht mehr, wo oben und unten war»

Er befindet sich in einem Schockzustand und wird von den Wassermassen mitgerissen. «Ich wusste nicht mehr, wo oben und wo unten war. Es war, als befände ich mich in einer Waschmaschine.» Yuswar wird gegen eine Wand geschleudert und landet schliesslich auf einem Hausdach.

Seine damalige Frau und zwei seiner Söhne werden weggeschwemmt. Yuswar wird sie nie wieder sehen.

Auf einem Foto ist zu sehen, dass das Haus der Familie, eines der wenigen im Viertel ist, das nicht zerstört wurde. Wären sie drinnen geblieben, hätten dann alle überlebt? Ich entscheide mich, die Frage nicht zu stellen.

Ella Meilianda forscht und lehrt am Zentrum für Tsunami- und Katastrophenschutz, kurz TDRMC. Das Zentrum wurde ein Jahr nach der Katastrophe gegründet.

Inzwischen gibt es in der Region ein Tsunami-Frühwarnsystem. Und doch sei man zu wenig auf einen zukünftigen Tsunami vorbereitet, sagt Ella Meilianda. «Das Frühwarnsystem wird zwar immer besser, aber den Menschen fehlen regelmässige Übungen.»

Frau mit Kopftuch und Brille lächelt in die Kamera.
Legende: Professorin Ella Melianda vom Zentrum für Tsunami- und Katastrophenschutz in Banda Aceh. SRF

Ella Meilianda verweist auf zwei Erdbeben von 2012, die jedoch keinen Tsunami auslösten. Es kam zu einem Fehlalarm, die Menschen seien verwirrt gewesen. Das habe zu Chaos geführt.

«Die Hinweisschilder, wohin man gehen sollte, waren nicht gut gewartet, einige waren verschwunden.» Das habe in der Bevölkerung zu Skepsis geführt. Ausserdem glaubten viele nicht, dass sie nochmals einen Tsunami erleben würden.

«Ich höre noch immer die Schreie meiner Kinder»

Yuswar hat nach der Katastrophe erneut geheiratet: Dewina, 56 Jahre alt. Auch sie ist eine Überlebende. Dewina konnte lediglich ihre Mutter und sich selbst retten. Ihren Ehemann, ihre Tochter und ihren Sohn hat sie in den Fluten verloren.

Wenn sie daran zurückdenke, sagt Dewina, höre sie noch immer die Schreie ihrer Kinder, die Mama gerufen haben. Als sich das Wasser zurückzog, sah sie das Ausmass der Zerstörung.

Dewina und Yuswar zeigen ein Fotobuch. Es sind Bilder von zerstörten Gebäuden, dazwischen entstellte Körper, als wären sie angeschwemmtes Treibholz. Die schiere Anzahl der Toten führte dazu, dass die meisten in anonymen Massengräbern bestattet wurden.

Zwei ältere Menschen sitzen nebeneinander und halten gemeinsam ein Fotobuch.
Legende: Yuswar und Dewina mit einem Fotobuch nach der Zerstörung. SRF

Wo die Überreste ihrer Angehörigen sind, wissen Dewina und Yuswar bis heute nicht.

Um zu beten, gehen sie zu einem Massengrab unweit des Flughafens. Auch wenn sie nicht sicher sei, ob ihre Angehörigen da lägen, sagt Dewina, glaube sie, dass sie ihre Gebete trotzdem hörten.

Echo der Zeit, 23.12.2024, 18 Uhr

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