Zum Inhalt springen

Abtreibungsrecht in Polen Priester: «Der polnische Staat hilft Müttern zu wenig»

Trotz Abtreibungsverbot hilft der polnische Staat Müttern zu wenig. Aber Priester Kancelarczyk setzt sich für sie ein.

Seit zwei Jahren hat Polen – zusammen mit Malta – das strengste Abtreibungsverbot Europas. Der katholische Priester Tomasz Kancelarczyk findet das gut. Er findet aber auch: «Der Staat hilft Müttern, die ihre Kinder austragen, oft zu wenig». Deshalb hilft er auf eigene Faust.

Der polnische Staat hilft Müttern, die ihre Kinder austragen, oft zu wenig.
Autor: Tomasz Kancelarczyk Katholischer Priester in Polen

Priester Kancelarczyk hat den Herzton eines Fötus' im Mutterbauch auf seinem Handy gespeichert. Für diesen Herzschlag steigt der Priester auch mal nachts in Szczecin, ganz im Norden Polens, ins Auto und fährt weit übers Land.

Fast jede Woche, sagt er, besuche er eine schwangere Frau, die an Abtreibung denke. Die Mutter, eine Freundin, die Schwester der Schwangeren weihe ihn ein. Manchmal passe er der Frau auf der Strasse ab, beim Einkaufen. Meistens, sagt er, könne er sie überzeugen, das Kind zu behalten.

Windeln fürs Baby

Über der Tür zu Monika Niklas beige-weisser Wohnung in Szczecin hängt ein Kreuz. Neun Jahre ist es her, seit sie schwanger war und an eine Abtreibung dachte. «Es war der schlimmste Tag meines Lebens, als ich erfuhr, dass mein Sohn Trisomie 21 haben würde», sagt Monika Niklas.

Auf der Kanzel in der Kirche in Szczecin sahen sie und ihr Mann dann Priester Kancelarczyk. Er sagte nach der Predigt, sie werde es mit dem Kind schaffen. Monika Niklas behielt ihren Sohn, obwohl sie ihn damals in Polen noch hätte abtreiben dürfen. Priester Kancelarczyk versorgte sie nach der Geburt mit Windeln und anderen Dingen.

Der Priester – schwarzer Kapuzenpullover, hinten ein Bibelzitat aufgedruckt – führt durch die Räume seiner Backsteinkirche, entschuldigt sich für die Unordnung. Überall Windeln, Spielzeug, Kinderwagen, alles Spenden. So viel, dass er für sein Hilfswerk «Kleine Füsse» ein Lager gemietet hat.

Der Staat hilft zu wenig

«Nach der Geburt wird es richtig teuer», sagt er. Erst recht, wenn das Kind behindert ist. Oft muss die Mutter aufhören zu arbeiten, die Ehe zerbricht manchmal. Dann kommt Kancelarczyk: Er schickt Paletten mit allem, was das Kind für ein Lebensjahr braucht. Er telefoniert so lange, bis er eine Wohnung für Mutter und Kind gefunden hat. Bis dahin nimmt er sie in seinem Frauenhaus ausserhalb von Szczecin auf.

Ein Mann im Kapuzenpullover, dahinter eine Stoffgans
Legende: Gelebte Fürsorge: Priester Kancelarczyk hat ein eigenes Hilfswerk für Frauen, die nicht abtreiben wollen, gegründet. SRF/Sarah Nowotny

«Es gibt längst nicht genug solche Einrichtungen in Polen», sagt der Priester. Der polnische Staat hat – ganz nach dem Willen der Kirche – vor zwei Jahren Abtreibungen praktisch verboten. Ein Kind muss auch dann ausgetragen werden, wenn es nicht oder kaum lebensfähig ist. Der Staat tut aber wenig für Familien mit behinderten Kindern oder für Alleinerziehende in Not.

Wir fühlen uns alleingelassen.
Autor: Monika Niklas Mutter eines behinderten Kindes in Polen

«Wir fühlen uns alleingelassen», sagt Monika Niklas, die Mutter des Kindes mit Trisomie 21. Sie sieht in Priester Kancelarczyk ihren Schutzengel: Er helfe materiell und seelsorgerisch. Damit ist er auch in der Kirche ziemlich allein. Trotz ihrer Erfahrung ist auch Monika Niklas gegen Abtreibung. «Ich hätte damals am liebsten gar nicht diese Möglichkeit gehabt.»

Die Jungen wenden sich ab

Dass Polinnen keine Wahl und damit keinen inneren Kampf mehr haben, das stimmt aber nicht. Sie treiben einfach im Ausland ab. Die Statistik deutet darauf hin, dass trotz der strengen Regeln gleich viele Polinnen abtreiben wie früher. Priester Kancelarczyk sagt, die Statistik sei nicht wichtig. «Ich bin nicht gegen Abtreibungen, ich bin für das Leben.»

Gerade junge Polinnen und Polen haben genug von der Kirche. «Sollen sie sich doch von uns abwenden», sagt der Priester, «schlimmer wäre es, wenn die Kirche ihre Prinzipien verraten würde».

Echo der Zeit, 29.12.2022, 18 Uhr

Meistgelesene Artikel