Acht Jahre ist es her, dass in Norwegen der Rechtsextreme Anders Behring Breivik 77 Menschen tötete. Acht von ihnen kamen bei einem Bombenanschlag im Zentrum Oslos ums Leben, 69 durch Schüsse auf der Ferieninsel Utoya. Heute gedenken die Norwegerinnen und Norweger der Opfer. Das tue weh, sei aber nötig, glaubt Korrespondent Bruno Kaufmann.
SRF News: Der Gedenktag spielt in Norwegen eine wichtige Rolle. Warum?
Bruno Kaufmann: Dieser politisch motivierte Massenmord vom 22. Juli 2011 ist ein Einschnitt, der Norwegen so stark verändert hat, dass es am Jahrestag immer noch angebracht scheint, sich mit den Folgen der Tat zu befassen.
Ist das auch im Sinne der Menschen im Land?
Viele Norwegerinnen und Norweger möchten dieses Kapitel jetzt endlich abschliessen. Aber den meisten ist sicher bewusst, dass dieser Einschnitt nicht einfach vergessen werden kann. Der diesjährige Jahrestag ist zudem besonders, weil der Attentäter selbst erstmals nicht mehr in einem juristischen Prozess steckt und sich und seine Thesen dabei präsentieren kann. Es ist also der erste Gedenktag, der ohne ihn stattfindet.
Wieso ist das Regierungsgebäude in Oslo, das bei dem Bombenanschlag zerstört wurde, bis heute nicht wieder aufgebaut worden?
Der Schock sitzt immer noch tief, dass Breivik damals einfach ohne Kontrolle einen Lieferwagen mit der riesigen Bombe vor das Büro des Ministerpräsidenten stellen konnte. Man wollte das Gebäude in eine Festung umwandeln. Dagegen gab es aber Proteste. Deshalb diskutiert man bis heute, wie dieser symbolträchtige Teil Oslos wieder aufgebaut werden soll.
Die Jugendlager auf Utoya werden jetzt zwar wieder durchgeführt. Sie müssen aber von der Polizei bewacht werden.
Es gibt Filme, Theaterstücke und ein Museum zum Thema. Welche Rolle spielt die kulturelle Aufarbeitung?
Sie spielt eine Rolle, ist aber auch sehr umstritten, weil man einerseits diese brutale Realität der Anschläge sieht, auf der anderen Seite aber auch den Versuch Kulturschaffender, eine Fiktion daraus zu machen. Je realistischer die Tat in Filmen und in Theaterstücken gezeigt wird, desto grösser ist die Opposition der Angehörigen der Opfer und der Überlebenden.
Breivik bekommt immer noch Hunderte Unterstützerbriefe pro Jahr. Überlebende erhalten Drohbriefe.
Es gibt einen Versuch der Überlebenden selbst, das Erlebte in einem Theaterstück nachzuspielen. Das wird sicher besser akzeptiert, als wenn sich Fremde an den Stoff machen – vor allem ausländische Regisseure.
Die Sozialdemokraten führen ihr Sommerlager auf der Insel Utoya seit 2015 wieder durch. Ist das Trauma inzwischen überwunden?
Nein, aber das Ganze hat politisch viel ausgelöst. So hat zum Beispiel die Jugendorganisation der Sozialdemokraten sehr viele neue Mitglieder bekommen. Aber es gibt auf der anderen Seite auch extreme Kräfte, die durch das Attentat politisiert wurden. Breivik bekommt immer noch Hunderte Unterstützerbriefe pro Jahr. Überlebende erhalten Drohbriefe. Es ist etwas, was die Menschen bewegt. Die Jugendlager werden zwar wieder durchgeführt. Sie müssen aber von der Polizei bewacht werden.
Gibt es ein Norwegen vor dem 22. Juli 2011 und eines danach?
So ist es. Es ist ein Norwegen, das reifer geworden ist, abgeklärter, das gesehen hat, dass seine Demokratie stark dasteht. Ich würde sagen, der 22. Juli ist für Norwegen eine Art Spiegel mit einer brutal grossen Tiefenschärfe. Er zeigt das Schlimmste aus Hass und Gewalt, aber auch das beste des Landes; den Zusammenhalt und die Widerstandskraft.
Statt diesen Spiegel einfach wegzustellen oder ihn zu zerschlagen, hat Norwegen entschieden, in diesen Spiegel hineinzublicken.
Es ist letztlich ein unbequemer Spiegel. Aber statt ihn einfach wegzustellen oder ihn zu zerschlagen, hat Norwegen entschieden, in ihn hineinzublicken – ganz besonders an einem Gedenktag wie dem heutigen.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.
22. Juli 2011: Chronologie der Anschläge von Oslo und Utøya
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Bild 1 von 17Legende: 22. Juli 2011 – 15.22 Uhr: Vor dem Osloer Regierungshochhaus explodiert eine Bombe in einem abgestellten Lieferwagen. Noch ist unklar, welches Ausmass der Anschlag hat. Später wird bestätigt: Acht Menschen sterben, zehn Menschen werden verletzt. Keystone
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Bild 2 von 17Legende: 15:32 Uhr: Die norwegische Nachrichtenagentur NTB berichtet von einer heftigen Explosion. Die Druckwelle der Detonation zerstört Fenster im Umkreis von einem Kilometer. Reuters
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Bild 3 von 17Legende: Breivik flüchtet und fährt in einem Mietwagen zur knapp 40 Kilometer entfernten Fjordinsel Utøya. Keystone
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Bild 4 von 17Legende: Kurz zuvor verschickt Breivik per Mail ein 1500 Seiten umfassendes «Manifest» an knapp tausend Adressaten. Reuters
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Bild 5 von 17Legende: 15.58 Uhr: Das norwegische Kabinett erklärt, dass Ministerpräsident Jens Stoltenberg in Sicherheit ist. Er sei zum Zeitpunkt der Detonation nicht in seinem Büro gewesen. Keystone
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Bild 6 von 17Legende: Gegen 16.30 Uhr: Die Meldung über den Anschlag in Oslo erreicht das Ferienlager der sozialdemokratischen Jugend auf der Insel Utøya. Rund 560 Jugendliche befinden sich in dem Sommercamp. Keystone
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Bild 7 von 17Legende: 16:45 Uhr: Der Radiosender NRK meldet mindestens ein Todesopfer durch die Explosion in Oslo. Immer mehr Hilfskräfte treffen ein und versuchen erste Hilfe zu leisten. Keystone
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Bild 8 von 17Legende: Ca. 17.00 Uhr: Als Polizist verkleidet setzt Breivik zum Ferienlager der sozialdemokratischen Jugend auf Utøya über. Ihm bleiben knapp anderthalb Stunden Zeit, um mit zwei Handfeuerwaffen Jagd auf die über 500 Teilnehmer zu machen. Er tötet 68 Menschen. Ein weiteres Opfer stirbt eine Woche später an seinen Verletzungen. Reuters
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Bild 9 von 17Legende: 17:10 Uhr: Die Polizei bestätigt, dass in Oslo eine Bombe explodiert ist. Auf der Insel bricht Chaos auf, als den Jugendlichen klar wird, dass geschossen wird. Mehrere rufen eine Notnummer an. Dort wird ihnen gesagt sie sollen die Leitung wegen des Anschlags in Oslo nicht blockieren. Reuters
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Bild 10 von 17Legende: 17.30 Uhr: Die Jugendlichen fliehen in Richtung der Ufer, einige springen ins kalte Wasser, um sich in Sicherheit zu bringen. Breivik schiesst auf alles, was sich bewegt. Keystone
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Bild 11 von 17Legende: Ca. 17.52 Uhr: Erste Polizisten erreichen das Gebiet. Weil sie aber kein geeignetes Boot für die Überfahrt haben, müssen sie zunächst warten. Urlauber retten unterdessen Überlebende. Keystone
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Bild 12 von 17Legende: 17.57 Uhr: In Oslo tritt Ministerpräsident Stoltenberg vor die Kameras und spricht von einer «ernsten Situation». Reuters
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Bild 13 von 17Legende: Ca. 18.25 Uhr: Die Polizei erreicht die Insel. Zunächst wissen die Einheiten nicht, wie viele Attentäter sich dort befinden. Reuters
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Bild 14 von 17Legende: Ca. 18.30 Uhr: Die Antiterroreinheit der Polizei nimmt Breivik fest. Vorher hat er zweimal telefonisch angeboten aufzugeben. Das späte Eintreffen der Polizei gilt als schwerwiegender Fehler. Reuters
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Bild 15 von 17Legende: Gegen 19 Uhr: Noch immer werden Überlebende gerettet. Reuters
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Bild 16 von 17Legende: 19:54 Uhr: Die Polizei gibt bekannt, dass sie an einen Zusammenhang zwischen beiden Anschlägen glaubt. Keystone
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Bild 17 von 17Legende: Samstag, 04:04 Uhr: Die Polizei erklärt, mindestens 80 Menschen seien auf der Insel Utøya ums Leben gekommen. Erst am Montag darauf wird die exakte Zahl kommuniziert. Keystone