Zum Inhalt springen

Aderlass statt Aufbau Junge Ukrainer suchen ihr Glück – in der EU

Hungerlöhne für Knochenjobs – Millionen Ukrainer kehren ihrem Land deshalb den Rücken. Darunter Jewgenj und Wladislaw.

In einem engen, stickigen Musikstudio zeichnen Jewgenj und Wladislaw ihren neuesten Song auf. Mitte 20 sind die beiden jungen Männer. Die Musik nur ein Hobby – aber ein Hobby, das sie mit Herzblut betreiben.

Hungerlohn für Knochenjob

In ihren Texten geht es um das harte Leben hier in der ukrainischen Provinzstadt Krywyj rih. Schwerindustrie hat den Ort geprägt – Bergbau, Kohle, Stahl. Noch heute prägen riesige Kamine das Stadtbild. Doch viele Fabriken stehen still. Arbeit gibt es kaum und wenn, ist sie schlecht bezahlt.

Später, unterwegs in der Stadt erzählt Jewgeni: «Ich habe in einer Fabrik gearbeitet. Ich stellte Güterzüge zusammen. Zwölf Stunden am Tag, bei jedem Wetter draussen. Verdient habe ich gerade einmal 7500 Hrywnja.» Weniger als 300 Franken sind das umgerechnet.

Vor allem Junge suchen ihr Glück im Ausland

Zu solchen Bedingungen zu arbeiten, lohne sich nicht, sind sich die beiden Männer einig. Wladislaw erklärt: «Deswegen fahren wir bald nach Polen. Wir warten nur noch auf das Visum. Einen Job haben wir schon. Wir werden in einer Batteriefabrik arbeiten und mindestens doppelt so viel verdienen wie hier.»

Jewgeniy und Wladislaw sind nicht die einzigen, die als Gastarbeiter ins Ausland fahren. Schätzungen zufolge schuften zwei Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer in der Europäischen Union. Eine weitere Million ist in Russland. Das ist ein gewaltiger Aderlass für ein Land mit 42 Mio. Einwohnern, das eigentlich seine eigene Wirtschaft aufbauen müsste und dabei seine jungen, meist gut ausgebildeten Leute selbst brauchen könnte.

Den ukrainischen Präsidenten beobachten

Jeder zweite oder dritte seiner Freunde sei im Ausland, sagt Wladislaw. Er selber wolle nicht für immer auswandern, sondern nur einmal für ein paar Monate und dann zurückkehren.

Aus Polen wollen die beiden auch beobachten, wie sich der neue Präsident Wolodymyr Selenskyj schlägt. Dieser könne durchaus etwas bewirken, meinen sie. Zumal die Lage in der Ukraine in den letzten Jahren so schwierig gewesen sei, dass es eigentlich nur besser werden könne. Trotzdem aber wollen sie vorerst einmal ihr Glück in Polen versuchen.

Meistgelesene Artikel