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Präsidentenwahl in der Ukraine Ukrainisches Roulette

«Hauptsache, das Land nicht verlieren.» Mit diesem Slogan hat Petro Poroschenko in den letzten Tagen um seine Wiederwahl gekämpft. Da schwingt die Botschaft mit: Nur einer kann das Land vor dem Untergang bewahren. Eben er, der bisherige Präsident.

Was für ein Hochmut – und was für eine Fehleinschätzung! Die Ukrainerinnen und Ukrainer haben Poroschenko krachend in die Wüste geschickt.

Wenn man die Menschen im Land nach den Gründen fragt, antworten alle das gleiche: Korruption, Armut, Krieg. Diese drei Übel hat Poroschenko versprochen zu beseitigen. Er hat es in den fünf Jahren seiner Amtszeit nicht geschafft.

Selenski als Hochrisiko-Wette

Nun wollen die Ukrainer einen Neuanfang. Und dieser Neuanfang heisst Wolodymyr Selenski. Der 41-Jährige ist kometenhaft aufgestiegen. Noch vor dreieinhalb Monaten war er einfach ein Komiker, der die Leute zum Lachen brachte. Jetzt ist er Präsident, auf den viele Millionen Ukrainer ihre Hoffnungen setzen.

Doch seine Wahl ist eine Hochrisiko-Wette, sie ist ukrainisches Roulette. Denn rationale Argumente, warum sie ausgerechnet Selenski ihre Stimme gaben, konnten nur die wenigsten Wähler nennen. Stattdessen hörte man schwammig: der Entertainer sei eben sympathisch, er sei neu, er sei nicht aus dem alten System. Oder schlicht, er sei nicht Poroschenko.

Wer aber genau hinschaut, der sieht: Selenski hat ernsthafte Probleme.

  • Die Erwartungen an ihn sind riesig. Er hat das «Ende der Armut» versprochen. Er hat versprochen, die Korruption auszuradieren – und den Krieg im Osten werde er auch beenden. Das sind alles Dinge, die einem bekannt vorkommen. Richtig: von Poroschenko. Der abgewählte Präsident wollte all das auch und hat es doch nicht erfüllen können. Viele Ukrainer glauben, mit dem neuen Präsidenten klappe es nun. Da schwingt viel Zweckoptimismus mit. Die Realität wird auch für Selenski zäh sein.
  • Er hat keinen Plan. Seine politischen Vorstellungen sind bruchstückhaft. Wie soll die Wirtschaft angekurbelt werden? Welche Mechanismen sollen die Korruption eindämmen? Wie könnte ein Friedensplan für den Osten aussehen? Komiker Selenski ist sich gewohnt, auf einer Bühne zu stehen und mit schnellen Pointen das Publikum zu unterhalten. Politik ist ein ganz anderes Geschäft: mühsam, zäh, detailreich. Bisher hat Selenski keine überzeugenden Konzepte vorgestellt für die drängendsten Probleme des Landes.
  • Er hat kein einheitliches Team. In seinem Umfeld tummeln sich die unterschiedlichsten Leute: da gibt es einige wenige Reformer wie den ehemaligen Finanzminister Alexander Daniljuk. Dazu kommen ein paar Jugendfreunde und mehrere Vertraute des schillernden Oligarchen Igor Kolomoiski. Kolomoiski hat Selenskis Kandidatur von Anfang an gefördert; erst versteckt, inzwischen mehr oder weniger offen. Nur ein Beispiel: Als Selenski am Sonntag wählen ging, wurde er von Bodyguards beschützt, die für den Fernsehsender 1+1 arbeiten. 1+1 gehört Kolomoiski. Mit anderen Worten: Männer des Oligarchen, Reformer, Kumpels aus der Schulzeit sollen zusammen das Land regieren. Es ist schwer zu glauben, dass die alle am gleichen Strick ziehen.

Es gibt aber auch gute Nachrichten von dieser Wahl: die Ukraine ist eine Demokratie. Die Bürger konnten ihren unbeliebten Präsidenten abwählen – und sie taten es. Allerdings wählten sie das Risiko: einen Präsidenten ohne Plan und Team, der nun ein Wunder vollbringen soll.

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