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Afrikanische Migranten «Das Paradies liegt nicht mehr in Europa»

Armut, Arbeitslosigkeit, Terrorismus, Bürgerkriege oder Klimawandel liessen in den kommenden Jahren immer mehr Afrikaner nach Europa auswandern: Das ist die gängige These. Zweifellos erklären diese Faktoren die Migration in Afrika. Doch Entwicklungsökonom Robert Kappel bezweifelt, dass die Bereitschaft, aus Afrika abzuwandern, steigt. Denn die Entwicklungen auf dem grossen Kontinent wiesen in eine andere Richtung.

SRF News: Weshalb bezweifeln Sie, dass in den nächsten Jahren immer mehr Afrikaner nach Europa auswandern werden?

Robert Kappel: Das Hauptargument ist, dass die meisten Afrikaner, die aus ihrem Land fliehen oder migrieren, innerhalb Afrikas bleiben. Europa hat durch die Verlagerung der Grenzen auf den afrikanischen Kontinent die Tore mehr oder weniger zugemacht und es gelangen nur noch wenige Afrikaner nach Europa.

Wer nach Europa will oder auch flüchten muss, bekommt mit, dass Europa nicht willens ist, Afrikaner aufzunehmen.

Darauf reagiert man in Afrika. Wer vielleicht nach Europa will oder auch flüchten muss, bekommt mit, dass Europa nicht willens ist, Afrikaner aufzunehmen.

Robert Kappel

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Der deutsche Entwicklungsökonom forscht zur Wirtschaftsentwicklung in Afrika. Bis 2011 war er Professor am Institut für Afrikanistik der Universität Leipzig und präsidierte das Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien, ein sozialwissenschaftliches Forschungsinstitut in Hamburg.

Allein in Libyen warten aber Hunderttausende Migranten auf eine Überfahrt nach Europa.

Ja, aber 100'000 Menschen sind für einen so grossen Kontinent, auf dem 16,5 Millionen Migranten und Flüchtlinge unterwegs sind, relativ wenig. Zudem hat ihre Zahl abgenommen. Wenn Sie vor zwei Jahren gesagt hätten, die Zahl der Migranten werde weiter steigen – wo wollten die afrikanischen Flüchtlinge denn sonst hin – hätte ich Ihnen zugestimmt. Aber wir sind zwei Jahre weiter.

Es hat viele Massnahmen innerhalb Europas gegeben, die Grenzen zu schützen und schon in Libyen, Marokko und anderen Ländern dafür zu sorgen, dass möglichst wenige Afrikaner nach Europa kommen. Und das hat seine Auswirkungen. Wer in Afrika zu fliehen oder migrieren bereit ist, versucht jetzt, woanders hinzugehen.

Wenn das Einkommen steigt, steigt auch die Auswanderungsbereitschaft: Das besagt eine These der Migrationsforschung. Sie sind anderer Meinung. Weshalb?

Mittelschichten etwa sind innovativ. Sie wollen Neues lernen, haben Kontakte und Netzwerke. Sie sind bereit, wegzugehen und auch mal was Neues auszuprobieren, um später wieder nach Hause zurückzukehren.

Da sich die Verhältnisse in Europa so stark verändert haben, gehen Afrikaner lieber in Nachbarländer, wo sie schon Netzwerke haben.

Da sich die Verhältnisse in Europa so stark verändert haben, gehen sie lieber in Nachbarländer, wo sie schon Netzwerke haben, und versuchen, dort ein wenig dazu zu verdienen. Die meisten bleiben dann innerhalb der Region. Die Mittelschicht wandert also nicht einfach ab.

Sie sagen, Afrika warte nicht auf Europa. Was heisst das?

Europa ist für Flüchtlinge und Migranten kein offenes Land mehr. Durch die Politik der EU und einzelner Staaten liegt das Paradies nicht mehr in Europa. Das weiss man jetzt in Afrika. Und die Konsequenzen, die Menschen jetzt daraus ziehen, sind: Sie versuchen, woanders hinzukommen. Das niedrige Wachstum in Europa ist ja auch nicht gerade ein Paradies für Arbeitskräfte, die nicht so gut gebildet sind.

Durch die Politik der EU und einzelner Staaten liegt das Paradies nicht mehr in Europa. Das weiss man jetzt in Afrika.

Viele der Afrikaner, die weggehen wollen, haben nicht die Kompetenzen, die in Europa gebraucht werden. Das heisst, sie landen dann irgendwo auf den Plantagen in Andalusien, in anderen schlecht bezahlten Jobs oder bekommen überhaupt keine Arbeit und müssen wieder zurückkehren. Das hat in Afrika dazu geführt, dass man eher dort einen Job sucht, wo es auch Möglichkeiten gibt – etwa durch das Netzwerk einer Diaspora innerhalb Afrikas. Man geht also lieber dorthin, wo schon dieselbe ethnische Gruppe oder ein Teil der Familie ist. Diese Chance nutzt man.

Was machen asiatische Länder wie China besser in Afrika?

Inzwischen gibt es eine Million Migranten, die nach China, Indien und in die Golfstaaten auswandern. Dafür gibt es zwei Gründe. Einerseits hat China für afrikanische Händler, die Produkte in China aufkaufen wollen, und sogar für Arbeitskräfte nicht so hohe Hürden geschaffen wie Europa. Afrikaner können dort für ein paar Monate einen Job bekommen. Gleichzeitig nutzt China die Netzwerke mit afrikanischen Händlern und Arbeitskräften, um innerhalb Afrikas Verbindung zu schaffen.

Man geht lieber dorthin, wo schon dieselbe ethnische Gruppe oder ein Teil der Familie ist. Diese Chance nutzt man.

Andererseits bietet Europa High-Tech-Produkte an, die in Afrika nicht so stark nachgefragt werden wie chinesische Billigprodukte. Kühlschränke, Motorräder, Fahrräder, Textilien kann man in China billig kaufen, nach Afrika bringen und dort über die eigenen Netzwerke weiterverkaufen. Diese Möglichkeiten sind mit China eher gegeben als mit Europa. Von daher hat China hier die Chance, der eigenen Netzwerkbildung genutzt.

Was bedeutet der Strukturwandel in Afrika für Europa? Können wir uns jetzt zurücklehnen?

Nein, das heisst es natürlich nicht. Wenn sich die Unruhen weiter ausbreiten, Bürgerkriege, politische Krisen und Klimakatastrophen stattfinden, wird es wieder Wellen von Migration und Flucht geben, keine Frage. Aber die meisten dieser Krisenphänomene werden die Menschen innerhalb Afrikas zu lösen haben.

Das Gespräch führte Samuel Wyss.

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