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Angespuckt und verprügelt Mehrere Angriffe auf deutsche Politiker: die Hintergründe

In der jüngsten Vergangenheit häufen sich Meldungen über tätliche und verbale Angriffe auf öffentliche Personen der Politik in Deutschland. Sie werden angeschrien, angespuckt und gar verprügelt. Was steckt dahinter?

Was ist passiert? Vor der Europawahl am 9. Juni mehren sich Attacken auf Politikerinnen und Politiker in Deutschland. Da ist zum einen SPD-Politikerin Franziska Giffey , die in der Berliner Regierung sitzt. Ein Mann hat sie am Dienstagnachmittag in einer Bibliothek angegriffen und leicht verletzt. Der zweite aktuelle Fall: In Dresden ist eine Grünen-Politikerin bedroht und bespuckt worden, als sie Plakate aufhängte.

Was waren das für Angriffe? Am Freitag vergangener Woche war der SPD-Politiker Matthias Ecke in Dresden von vier jungen Männern im Alter von 17 und 18 Jahren zusammengeschlagen worden . Der Spitzenkandidat für die Europawahl in Sachsen wollte Wahlplakate anbringen, als ihn die Täter überraschend attackierten. Die Polizei rechnet zumindest einen von ihnen dem rechten Spektrum zu. Kurz vor dem Angriff auf Ecke hatte laut Polizei mutmasslich dieselbe Gruppe in der Nähe einen Grünen-Wahlkampfhelfer verletzt.

Angriff auf Grünen-Politikerin am Dienstag

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Am Dienstagabend folgte dann die bereits erwähnte nächste Attacke in Dresden: Eine 47 Jahre alte Grünen-Politikerin wurde beim Aufhängen von Wahlplakaten von zwei Personen angegriffen. Polizisten stellten kurz darauf eine 24-Jährige und einen 34-Jährigen als Tatverdächtige, wie die Polizeidirektion Dresden mitteilte. Wer die Angegriffene ist, wollte ein Sprecher der Polizei zunächst nicht sagen.

Der männliche Angreifer habe die Politikerin gegen 18:50 Uhr beiseite gestossen, beleidigt und bedroht, hiess es. Ausserdem soll er zwei Wahlplakate heruntergerissen haben. Die 24-jährige Frau kam den Angaben zufolge hinzu und bespuckte die Politikerin, die in Begleitung von Helfern war. Die Polizei konnte die beiden in unmittelbarer Nähe des Tatorts stellen. Gegen den 34-jährigen Deutschen werde wegen Körperverletzung, Bedrohung, Beleidigung und Sachbeschädigung ermittelt und gegen die 24-jährige Deutsche wegen Körperverletzung.

Weil die beiden zuvor bei einer Gruppe gestanden haben, aus der heraus der Hitlergruss gezeigt worden sein soll, wird ausserdem wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gegen sie ermittelt. Beide Verdächtige blieben auf freiem Fuss, wie der Polizeisprecher weiter sagte.

Wie reagiert die Politik? Am Dienstag hatten sich die deutschen Innenminister der Bundesländer in ihrer Sondersitzung für einen besseren Schutz politisch engagierter Menschen und auch für eine Verschärfung des Strafrechts ausgesprochen.

Menschenmenge bei einer Demonstration mit einer SPD-Flagge im Vordergrund.
Legende: Die Gewaltangriffe lösten grosse Anteilnahme in der Bevölkerung aus. Keystone / CLEMENS BILAN

Eine SPD-Parteikollegin ist schockiert: Katarina Barley ist SPD-Kandidatin für die Europawahlen. Gegenüber SRF zeigt sich die Politikerin erschüttert über die Angriffe: «Das ist völlig inakzeptabel und darf in einer Demokratie nicht passieren. Menschen, die politische, demokratische Botschaften verbreiten, dürfen nicht Opfer von solchen tätlichen Angriffen werden.» Sie sieht den Grund für die Angriffe in der aufgeheizten Stimmung in der politischen Debatte: «So etwas kann nur gedeihen in einer Atmosphäre, wo Leute glauben, dass man das in der Demokratie machen könnte und deswegen sind wir da jetzt alle gefragt.»

Worauf ist die Gewalt zurückzuführen? Stefan Reinhart ist Leiter der Auslands-Korrespondentinnen und -Korrespondenten und beobachtet für SRF die deutsche Politik. Auch er zieht die Äusserungen von Politikern wie der AfD in einen Zusammenhang mit den Vorfällen: «Wenn man sich anhört, wie die Politikerinnen und Politiker von ganz rechts aussen über die Regierenden sprechen, kann ich mir schon vorstellen, dass die sprachliche Verrohung einen Einfluss auf die Strasse hat. Diese Leute sagen, die regierenden Politikerinnen seien Verräter. Sie wollten Deutschland verkaufen und zerstören.»

Protestforscher: «Die Gewaltspirale steigt»

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Daniel Mullis ist Protestforscher am Leibniz Institut für Friedens und Konfliktforschung in Frankfurt.

SRF News: Überrascht Sie die Brutalität der Angriffe auf Politikerinnen und Politiker?             

Daniel Mullis: Nein. Viele warnten schon lange vor so einer Eskalation. Natürlich ist es furchtbar tragisch, dass es jetzt so weit ist. Aber überrascht hat es mich nicht. Und man muss tatsächlich auch sagen, dass brutale Gewalt gegen politisch Andersdenkende in Deutschland seit 2015 vermehrt vorkommt.

Woher kommt die Bereitschaft, Politikerinnen und Politiker nicht nur verbal zu bedrohen, sondern körperlich anzugreifen?
                
Es herrscht ein gesellschaftliches Klima in Deutschland, wo solche Taten möglich sind. Es gibt schon seit längerem verschärfte politische Diskussionen. Es geht oft nicht mehr um eine politische Auseinandersetzung, man streitet nicht mehr um Inhalte, sondern man will den politischen Gegner als Feind markieren. Die Debattenkultur ist schärfer und auch die Gewaltspirale steigt. Diese Wechselwirkung ist gefährlich.

Was sehen Sie für eine Lösung?

Man sieht tatsächlich in Deutschland in den letzten Jahren im Zuge des Aufstiegs der AfD eine massive Verschiebung, quasi vom Alltagsverständnis, von der Vorstellung, wie man miteinander lebt, was politisch okay ist und was nicht. Man müsste miteinander reden, was wir für eine politische Kultur in Deutschland wollen.

Geben Sie der AfD eine Mitschuld an diesen Angriffen auf Politikerinnen und Politiker? 

So kausal nicht, aber sie ist mitschuldig an der politischen Kultur in Deutschland, welche in den letzten Jahren auf vielen Ebenen verroht ist. Dafür ist sie zentral mitverantwortlich. Auf jeden Fall.

Aus dem Tagesgespräch mit David Karasek

Sinkt die Hemmschwelle, Gewalt anzuwenden? Reinhart verweist auch auf die verbale Gewalt, die sich in Foren des Internets zeigt. Dort würden regelmässig Todesdrohungen gegen öffentliche Personen ausgesprochen. Dies führe dazu, dass die politische Debatte immer stärker verrohe: «Der demokratische Konsens, dass man einander nicht persönlich angreift, sondern politisch sachlich bleibt, der geht immer mehr verloren», sagt Reinhart bei Radio SRF.

SRF 4 News, 08.05.2024, 08:45 Uhr;zero

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