Genf als neutraler Konferenzstandort einer Verhandlungsrunde zu den Syrien-Gesprächen Ende Juli kommt für den Kreml nicht mehr infrage. Alexander Lawrentjew, Wladimir Putins Sondergesandter für Syrien, nahm vergangene Woche in der kasachischen Hauptstadt Nur-Sultan an den Syrien-Verhandlungen mit dem Iran und der Türkei teil. Dort sprach sich Lawrentjew dafür aus, Genf als Standort für die Gespräche über eine syrische Verfassung aufzugeben. Denn Genf sei nicht mehr neutral.
Grund für diese Meinungsänderung sind die Schweizer Sanktionen gegen Russland. Laut einem Bericht der staatlichen Presseagentur «Ria Novosti» gehört die Schweiz nämlich weltweit zu jenen Ländern, die am meisten Sanktionen ergriffen haben. Die Schweiz belegt in ihrem Ranking Platz drei, hinter den USA und Kanada.
Ehemaliger Diplomat befürchtet Konsequenzen
Die Drohung des Kremls lässt Paul Widmer, ehemaliger Diplomat und Lehrbeauftragter der Internationalen Beziehungen an der Universität St. Gallen, aufhorchen. Denn auf die internationalen Dienste der Schweiz sei man eigentlich stolz. «Wenn nun ein wichtiger Staat unsere Neutralität bezweifelt, dann könnte das bedeuten, dass andere auch dieses Argument benützen und das internationale Genf abgewertet wird», sagt Widmer. Man dürfe nicht vergessen, dass die Konkurrenz um internationale Organisationen sehr gross sei.
Ausserdem sei das internationale Genf für die Schweiz ein ganz grosser Trumpf. «Wir dürfen nie vergessen, dass die Neutralität in unserer traditionellen Auffassung der wichtigste Grundsatz unserer Aussenpolitik ist – gepaart mit dem Einsatz von guten Diensten, wofür wir besonders geeignet sind dank einer konsequenten Neutralität», mahnt Widmer. Diese verschaffe Glaubwürdigkeit, die nun massiv gelitten habe.
Verschiebung des Austragungsorts ist schwierig
David Nauer, ehemaliger SRF-Russland-Korrespondent, ist nicht besonders überrascht von Moskaus Meinungswandel, die Gespräche an einem anderen Austragungsort durchzuführen. Zwar habe der Kreml die Schweiz stets kulanter und besser behandelt als westliche Staaten. «Doch das hat sich seit dem russischen Angriff auf die Ukraine geändert, weil sich die Schweiz klar positioniert hat und diesen verurteilt hat – das hat den Kreml verärgert.» In russischen Medien lese man, dass die Schweiz nicht mehr neutral sei. Deshalb habe sich die Schweiz dem westlichen Lager angenähert – einem Lager, das der Kreml als feindlich betrachtet.
Laut Nauer werden sich die Russen bemühen, andere Austragungsorte in Staaten zu finden, die den Russen genehmer sind, zum Beispiel in Asien, Afrika oder dem Nahen Osten. Doch eine Verschiebung des Austragungsorts sei nicht so einfach, da alle anderen beteiligten Staaten auch einverstanden sein müssten. Zudem befinde sich in Genf der UNO-Sitz, wodurch bereits zahlreiche Veranstaltungen in Genf stattfinden. «Der russische Wunsch, solche Veranstaltungen eher von Genf wegzubringen, steht bestimmt. Aber wie sehr die Russen sich durchsetzen können, ist eine andere Frage», sagt Nauer.