In der Nacht auf Sonntag kam es im Grossraum New York erneut zu einer Attacke gegen Juden. Fünf Menschen wurden in der Ortschaft Monsey mit einer Machete verletzt, sie feierten im Haus eines Rabbiners das jüdische Lichterfest. Der Täter, ein 38-jähriger Afroamerikaner, wurde festgenommen. USA-Korrespondent Andreas Mink über einen Antisemitismus mit vielen Gesichtern.
SRF News: Schon Mitte Dezember starben bei einem Attentat auf einen koscheren Supermarkt in Jersey City bei New York drei Menschen. Auch damals war einer der Täter Afroamerikaner. Gibt es einen afroamerikanischen Antisemitismus?
Andreas Mink: Die Täter der jüngsten Attacken sollen psychische Probleme gehabt haben und Einzelgänger gewesen sein. Es gibt aber seit vielen Jahrzehnten einen afroamerikanischen Antisemitismus. Er stand schon immer in einem Spannungsverhältnis zur Bürgerrechtsbewegung, wo es eine grosse Solidarität zwischen Schwarzen und Juden gegeben hat.
Auch hier kursieren die bekannten antisemitischen Verschwörungstheorien: Juden werden als Ausbeuter wahrgenommen. Es könnten auch Ressentiments dahinterstecken, wonach seit der Bürgerrechtsbewegung die damals ebenfalls benachteiligten Juden wesentlich mehr Fortschritte gemacht hätten. Etwa, was Bildungs- und Karrierechancen angeht.
Jüdische Organisationen in den USA stellen einen starken Anstieg antisemitischer und rechtsextremer Gewalt fest. Worauf ist das zurückzuführen?
Das ist eine parallele Entwicklung, die auch mit dem Präsidenten zu tun hat. Die alte, rechte Verschwörungstheorie, wonach die Juden hinter allem Bösen stecken, wird neu aufgelegt. Konkret wird ihnen der Zustrom illegaler Migranten aus Lateinamerika angelastet.
Es grassiert die Idee, dass die Juden die USA von einem weissen, christlichen Land zu einem farbigen, sozialistischen Land machen wollen.
Besonders Philanthrop und Investor George Soros wird immer wieder zur Zielscheibe, vor allem von Trump und prominenten Republikanern. Es grassiert die Idee, dass die Juden die USA von einem weissen, christlichen Land zu einem farbigen, sozialistischen Land machen wollen. Das wird von der Regierung unterstützt. Dazu kommt Trumps Hassrhetorik gegen Minderheiten aller Art.
Trump hat sich deutlich vom Anschlag vom Wochenende distanziert und stellt sich im Nahostkonflikt klar hinter Israel. Auch hat er das Bürgerrechtsgesetz angepasst, sodass Juden vor Benachteiligung geschützt werden sollen.
Auf der einen Seite schürt Trump weisse Verschwörungstheorien. Auf der anderen Seite gibt er sich als Beschützer von Israel. Das Problem dabei ist, dass die Juden, indem sie zur Rasse und Nation erklärt werden, ausgesondert und separiert werden. Trump entscheidet dann, wer die guten und wer die schlechten Juden sind. Soros etwa ist ein schlechter Jude, die guten sind die, die für Israel einstehen.
Das widerspricht dem Grundgedanken der US-Demokratie, der immer schon von jüdischen Rechtsgelehrten und Aktivisten unterstützt wurde: Rasse und Religion sollen keine Rolle spielen, weil alle unter dem Schirm der gleichen Verfassung stehen.
Die USA waren für viele Juden während der Nazi-Zeit ein sicherer Hafen. Nun werden sie auch dort vom Antisemitismus eingeholt?
Antisemitismus ist in den USA immer wieder aufgeflammt, gerade in den 1930er-Jahren. Eine solche Massierung antisemitischer Gewalttaten im ganzen Land – von unterschiedlichen Tätergruppen – gab es meines Wissens in der neueren Geschichte aber noch nie. Wohin das führt, ist im Moment unabsehbar. Ich fürchte, dass nun ein Nachahmereffekt wie bei Amokläufen an Schulen einsetzt. Es liegt etwas in der Luft.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.